Um 4 Uhr 51 Ortszeit sandte das Büro des israelischen Premierministers die Entscheidung des Sicherheitskabinetts aus, mit der der Gaza-Krieg für weitere Monate fortgesetzt werden wird: Die Streitkräfte würden sich darauf vorbereiten, "die Kontrolle über Gaza-Stadt zu übernehmen". Gleichzeitig würde "humanitäre Hilfe an die Zivilbevölkerung außerhalb der Kampfzonen" verteilt.
Fünf Grundsätze für "Beendigung des Krieges" beschlossen
Fünf Grundsätze seien "für die Beendigung des Krieges" beschlossen worden: die Entwaffnung der Hamas, die Rückkehr aller Geiseln, "der lebenden und der verstorbenen", die Entmilitarisierung des Gazastreifens. Israels Armee werde zudem die "Sicherheitskontrolle" im palästinensischen Küstenstreifen übernehmen.
Zur entscheidenden Frage der politischen Zukunft des Gazastreifens heißt es in der Erklärung Netanjahus: Es würde eine "alternative Zivilverwaltung" errichtet, "die weder der Hamas noch der Palästinensischen Zivilverwaltung angehört". Die Entscheidung sei vom Sicherheitskabinett mit "großer Mehrheit" angenommen worden.
Mit einem alternativen Plan, der dem Sicherheitskabinett ebenfalls vorgelegt worden sei, würde "weder die Niederlage der Hamas noch die Rückgabe der Geiseln erreicht" werden. "Mit dem Kopf gegen die Wand", titelt heute Morgen die israelische Tageszeitung "Ha’aretz".
Armeeführung lehnte Netanjahus Plan ab
In den Tagen vor der Entscheidung des Sicherheitskabinetts hatten Generalstabschef Eyal Zamir und ehemalige Generalstabschefs, sowie frühere Leiter des Auslands- und Inlandsgeheimdienstes Mossad und Shin Bet, massive Kritik an Netanjahus Ausweitung des Gaza-Kriegs geäußert.
Zamir führte im Wesentlichen zwei Gründe für seine ablehnende Haltung an: Eine massive Ausweitung der israelischen Militäraktionen im Gazastreifen würde das Leben der verbliebenen Geiseln gefährden. Die Entführer könnten aus Furcht vor einem weiteren Vorrücken der Armee die Geiseln zurücklassen. In einem solchen Szenario würde der Verbleib einiger Geiseln möglicherweise nie entdeckt werden.
Und zweitens: Die Streitkräfte seien nach nahezu zweijährigem Dauereinsatz zunehmend ermüdet. Dies betreffe die Reservisten genauso wie die aktiven Soldaten. Es müssten nun erneut "eine große Anzahl" von Reservisten wieder einberufen werden. Bereits in den vergangenen Monaten seien immer weniger Reservisten den Einberufungsbescheiden nachgekommen.
Noch am Dienstag dieser Woche habe Generalstabschef Zamir nach Angaben des israelischen TV-Senders 12 den Premierminister gewarnt: Die Besetzung des Gazastreifens würde "eine schwere Belastung für die Reservisten und die Soldaten des Pflichtwehrdienstes darstellen und zu deren Aushöhlung führen". Netanjahu reagierte äußerst verärgert auf die Einwände der Armeeführung. Diese Streitkräfte seien darauf vorbereitet, "jede Entscheidung des Sicherheitskabinetts auszuführen".
Opposition verurteilt Entscheidung
Oppositionschef Yair Lapid nennt die Entscheidung des Sicherheitskabinetts "eine Katastrophe, die zu vielen weiteren Katastrophen führen wird". Die rechtsextremen Kabinettsmitglieder Itamar Ben-Gvir und Bezalel Smotrich hätten den Premierminister zu der Entscheidung gedrängt, "die die Geiseln und viele Soldaten töten, die israelischen Steuerzahler Dutzende von Milliarden kosten und die diplomatischen Beziehungen Israels zerstören wird".
Das sei genau das, "was die Hamas wollte. Dass Israel ohne Ziel in Gaza festsitzt, in einer sinnlosen Besatzung, deren Sinn niemand versteht". Tausende Menschen demonstrierten bereits am Abend vor der Entscheidung in Tel Aviv und Jerusalem zusammen mit Angehörigen der Geiseln gegen die Ausweitung des Krieges.
Trump hat angeblich Netanjahu angebrüllt
Gegenwind habe Netanjahu auch von US-Präsident Donald Trump erhalten: Wie der amerikanische Fernsehsender NBC meldet, habe Trump den israelischen Premierminister in einem Telefonat "angebrüllt", nachdem Netanjahu seine Behauptung wiederholt habe, die Berichte über die Hungerkatastrophe im Gazastreifen seien gefälscht.
Es sei ein "direktes, meist einseitiges Gespräch über den Stand der humanitären Hilfe" gewesen. Trump habe Netanjahu unterbrochen und "angeschrien, seine Mitarbeiter hätten ihm Beweise für die Hungersnot in Gaza vorgelegt". Das Telefonat sei auf Wunsch Netanjahus zustande gekommen. Trump hatte während seines Aufenthalts in Schottland vor einigen Tagen mit Blick auf den Hunger im Küstenstreifen gesagt, die Kinder in Gaza "sehen sehr hungrig" aus. Das "kann man nicht fälschen".
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