Angesichts schockierender Videos von abgemagerten Geiseln der islamistischen Hamas erwägt Israels Regierung Medienberichten zufolge eine Ausweitung des Gaza-Krieges zur Befreiung der Entführten. Regierungschef Benjamin Netanjahu strebe danach, die Freilassung der Geiseln "auf dem Weg eines militärischen Sieges" zu erreichen, zitierten israelische Medien einen namentlich nicht genannten Beamten. "Ich verstehe genau, was die Hamas will. Sie will keinen Deal", sagte Netanjahu in einer Video-Botschaft.
Der Politikwissenschaftler Jan Busse von der Universität der Bundeswehr in München geht indessen davon aus, dass das israelische Militär bereits die Kontrolle über den Gazastreifen hat, und nicht mehr die Hamas. Diese stellt laut Busse schon lange keine Bedrohung mehr für Israel dar.
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Experte: Ausweitung der Kämpfe gefährdet Wohl der Geiseln
Israel habe seit März die Kampfhandlungen deutlich ausgeweitet, mit dem Ziel, nicht nur die Kämpfer der Hamas anzugreifen, sondern auch zivile Vertreter, die vor allem dafür verantwortlich seien, den Gazastreifen zu regieren, sagte Busse bei BR24 im BR Fernsehen. Auch dadurch habe Israel dazu beitragen können, dass die Hamas perspektivisch überhaupt nicht mehr in der Lage sein werde, den Gazastreifen zu kontrollieren.
Militärisch könne Israel nichts mehr erreichen, im Gegenteil, auch wenn es um die noch festgehaltenen Geiseln gehe. Der größte Teil der israelischen Geiseln sei durch Verhandlungen befreit worden. "Eine Ausweitung der Kämpfe gefährdet letzten Endes das Wohl auch der Geiseln", so Busse.
Geiselvideo als Druckmittel genutzt?
Mit ihrem kürzlich veröffentlichen Geiselvideo will die Hamas laut Busses Einschätzung Druck auf die israelische Bevölkerung ausüben, mit dem Ziel, dass sich der Druck auf die Regierung Netanjahu auswirke. "Ich denke aber, dass das tatsächlich nicht funktionieren wird", betonte der Nahost-Experte.
Netanjahu habe ein ums andere Mal unter Beweis gestellt, dass das Schicksal der israelischen Geiseln im Gazastreifen für ihn nachrangig sei und kein primäres Kriegsziel darstelle. Sonst hätte Netanjahu sich, so Busse, bisher viel stärker in den Verhandlungen engagiert und nicht teilweise sogar dazu beigetragen, dass die Verhandlungen sabotiert worden seien.
Hamas will Rotes Kreuz zu Geiseln lassen – unter Bedingungen
Die Hamas ist nach eigenen Angaben bereit, das Rote Kreuz die Geiseln mit Lebensmitteln und Medikamenten versorgen zu lassen – jedoch nur unter weitreichenden Bedingungen. So müsse Israel eine umfassende und dauerhafte Versorgung der palästinensischen Zivilbevölkerung im Gazastreifen ermöglichen, teilte ein Sprecher der Al-Kassam-Brigaden, des militärischen Arms der Terrororganisation, auf Telegram mit. Zudem müsse Israel jegliche Luftaufklärung während der Zeit einstellen, in der Hilfe zu den Geiseln gelangt.
UN-Sicherheitsrat beruft Dringlichkeitssitzung ein
Nach der Veröffentlichung der Propagandavideos beschäftigt sich indessen auch der UN-Sicherheitsrat mit den Hamas-Geiseln. Der Sicherheitsrat werde am Dienstag zu einer Dringlichkeitssitzung "über die schlimme Lage der Geiseln in Gaza zusammenkommen", erklärte der israelische Botschafter bei den Vereinten Nationen, Danny Danon.
Nach Angaben israelischer Behörden befinden sich derzeit 50 Geiseln im Gazastreifen, von denen nur 20 noch am Leben sein sollen. Die Hamas hat bisher humanitären Organisationen jeglichen Zugang zu den Geiseln verwehrt.
Mit Informationen von dpa und AFP
Im Video: Gazastreifen – Netanjahu plant vollständige Einnahme
Im Video: Gazastreifen – Netanjahu plant vollständige Einnahme
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