Dass Papst Leo XIV. Telegramme verschickt, klingt wie eine Nachricht aus einer anderen Zeit. Während der Vatikan längst im Internet präsent ist – mit Millionen Followern auf X und Instagram – pflegt er auch alte Kommunikationsformen weiter. So werden diplomatische Noten bis heute per Kurier überbracht. Und auch das Telegramm hat im Vatikan überlebt, anders als in Deutschland, wo der letzte Dienst 2022 eingestellt wurde.
Satz in Telegramm von Papst Leo XIV. lässt aufhorchen
Am Montag ging ein solches Telegramm [externer Link] aus dem Vatikan ins kolumbianische Bogotá. Darin grüßt der Papst die fast neunzig Bischöfe aus dem Amazonasgebiet, die dort tagten. Doch zwischen den üblichen Segensworten findet sich ein Satz, der – als einem der Ersten – den Vatikan-Journalisten Hendro Munsterman aufhorchen ließ [externer Link, möglicherweise Bezahlinhalt]: Die Kirche müsse den Menschen im Amazonas die Eucharistie, also das zentrale katholische Abendmahl, unter allen Umständen zugänglich machen – sie sei "das einzige Mittel, um wirklich das Volk Gottes und der Leib Christi zu sein".
Streitpunkt Eucharistie im Amazonasgebiet
Hintergrund ist die Amazonas-Synode von 2019. Damals wurde diskutiert, wie die Kirche in Regionen überleben kann, in denen Priester massiv fehlen und Gemeinden monate-, teils jahrelang ohne Eucharistiefeier bleiben. Damals baten die Bischöfe, "geeignete Männer aus lokalen Gemeinschaften, die legal verheiratet sind", zu Priestern zu weihen. Papst Franziskus traf damals aber keine Entscheidung darüber, das Papier verschwand in einer Schublade.
Mit seinem Telegramm scheint Papst Leo XIV. das Thema nun wieder hervorzuholen: Ohne Eucharistie könne die Kirche nicht "Volk Gottes" sein. Pastoraltheologe Paul Zulehner aus Wien verweist im Gespräch mit BR24 darauf, dass schon Papst Johannes Paul II. in seinem Schreiben "Ecclesia de Eucharistia" festgehalten habe, dass die Kirche sich in der Eucharistie konstituiere. Daraus folge, so der frühere Universitätsprofessor Zulehner, dass Gemeinden ein "inneres Recht" hätten, jemanden zu haben, der der Feier vorsteht.
Wenn es jedoch, wie im Amazonasgebiet, nicht genügend Priester gebe, müssten andere Wege gefunden werden. Der vor kurzem verstorbene südafrikanische Bischof Fritz Lobinger habe schon früh Modelle vorgeschlagen, bei denen Gemeinden selbst erfahrene Personen auswählen und zu "Priestern neuer Art" weihen könnten, so Zulehner.
Modell: Verheiratete Priester könnte neben zölibatäre treten
Dabei gehe es nicht darum, den Zölibat abzuschaffen, betont Zulehner, selbst katholischer Priester, und erinnert an die Einstellung des verstorbenen Papstes. "Wenn ich Franziskus richtig verstanden habe, sagt er klar: Nein, am Zölibat rühre ich nicht. Aber ich schaffe neben den ehelosen Priestern eine neue Form priesterlichen Amtes, nämlich die 'personae probatae'." Mit diesem lateinischen Begriff sind "bewährte Personen" gemeint – verheiratete Männer, vielleicht sogar Frauen, die ihre Gemeinden seit Jahren leiten.
Bahnt sich hier also eine Sensation an, die erste große Reform von Leo XIV.? Oder ist es mehr das Wunschdenken einiger liberaler Katholiken, die hier ihrer Interpretation der Papstworte freien Lauf lassen? Dass Papst Leo XIV., der lange als Bischof in Peru wirkte, gerade im Amazonas ansetzt, hält Kirchenrechtler Thomas Schüller aus Münster im BR24-Interview jedenfalls für keinen Zufall. "Ein päpstliches Telegramm ist nie zufällig. Wenn er an dieser Stelle den Begriff 'Eucharistie' verwendet, wird er sich dabei etwas gedacht haben."
"Wenn die Eucharistie ausfällt, geht die katholische Kirche vor die Hunde"
Für Schüller zeigt sich darin der Pragmatismus des Papstes: "Wenn flächendeckend die Eucharistie ausfällt, geht die katholische Kirche vor die Hunde. Deshalb könnte ich mir vorstellen, dass er zumindest für Regionen, in denen die Not am größten ist, diese Option eröffnet."
Bereits Mitte Juli hatte der Erzbischof von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx, gegenüber Medien geäußert, dass er eine Lockerung des Zölibats für katholische Geistliche durch Papst Leo XIV. für möglich halte.
Was bedeutet eine Entscheidung fürs Zölibat in Deutschland?
In Deutschland herrsche jedoch kein so akuter Notstand wie im Amazonas. "Ein Gläubiger, der unbedingt die Eucharistie mitfeiern will, hat trotz Priestermangels noch keine großen Probleme", sagt Schüller. Doch er glaubt: Sollte Leo für das Amazonasgebiet den Schritt gehen, "wird auch in Deutschland der Wunsch aufkommen, das hier zu ermöglichen".
Auch Zulehner hält das für denkbar: "Bischof Bode hat schon vor Jahren gesagt: Wenn es in Amazonien geschieht und wir wollen das [geweihte "viri probati"] auch bei uns, dann werden wir das in Rom beantragen." Die Synode habe ein neues Prinzip eingeführt: Reformen entstehen an der Peripherie und können ins Zentrum wandern.
Damit bleibt das Telegramm mehr als ein Grußwort. Es wirkt wie ein päpstlicher Anstoß, der die Diskussion um den Zölibat – wenn auch vorsichtig und regional begrenzt – wieder in Bewegung gebracht hat.
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