Kurz vor der Abstimmung über das Rentenpaket am Freitag will Fraktionschef Jens Spahn die Reihen schließen. Ermöglicht ausgerechnet die Linke der Regierung eine Mehrheit?
"Nein, natürlich nicht", sagt Sarah Vollath, rentenpolitische Sprecherin der Linken, "davon möchte ich auf jeden Fall Abstand nehmen". Im BR24-Gespräch betont die Abgeordnete aus Ingolstadt, man bewerte das Rentenpaket rein inhaltlich und sei zu dem Schluss gekommen, "dass wir uns gerne enthalten möchten. Und wie die Koalition ihre Mehrheiten bekommt, das ist ihr eigenes Problem."
Für die Linke reicht die im Gesetz vorgesehene Stabilisierung des Rentenniveaus auf 48 Prozent nicht aus: "Wir können dem auf keinen Fall zustimmen – 48 Prozent, das ist uns viel zu wenig, das ist keine Lösung für die aktuelle Situation." Die Partei fordert ein Rentenniveau von 53 Prozent. Aber: Das Paket platzen zu lassen, würde aus Sicht der Linken Rentnern schaden. Deshalb wäre es "verantwortungslos, dagegen zu stimmen. Und so kommen wir zu unserer Enthaltung."
Politikwissenschaftler: Entscheidung der Linken Mischung aus Inhalt und Taktik
Politikwissenschaftler Martin Gross von der LMU München ordnet diese Ankündigung im BR24-Gespräch ein - und sieht darin eine Mischung aus Inhalt und Taktik. Die Forderung nach einem höheren Rentenniveau sei zentral für die Linke. Inhaltlich sei die Enthaltung daher der "gemeinsame kleinste Nenner". Doch er sieht auch ein taktisches Element: Die Enthaltung setze die Union "unter Druck". Sollte das Rentenpaket nur deshalb eine Mehrheit erreichen, könnten politische Gegner daraus Kapital schlagen – gerade mit Blick auf die anstehenden Landtagswahlen im Osten nächstes Jahr: Die Regierung – und besonders die Union – wirkten dann abhängig von der Linken. Zugleich betont Gross, dass der Unvereinbarkeitsbeschluss der Union zur Linken dadurch nicht verletzt wäre, denn eine Enthaltung sei "keine Kooperation" in seiner Lesart.
Dennoch: Hält sich die Linke an ihre Ankündigung, wird die Mehrheitssuche für die Regierung jedenfalls leichter, sie könnte sich dadurch auch mehr Abweichler in den eigenen Reihen leisten. Denn: Die Koalition braucht lediglich mehr Ja- als Nein-Stimmen. Würde die Linke geschlossen ablehnen, wären allein das schon bei allen Anwesenden 64 Gegenstimmen – ein ernstzunehmender Faktor angesichts der kritischen Stimmen innerhalb der Union von jungen "Renten-Rebellen" und anderen Abgeordneten.
Union und SPD wollen eigene Regierungsmehrheit – auch für die Zukunft
Doch davon will die Union nichts wissen – ihr Ziel: die eigene Regierungsmehrheit. CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann gibt sich im BR24-Interview optimistisch, "dass wir eine stabile Koalitionsmehrheit haben." Für ihn zeichne sich eine handlungsfähige Regierung dadurch aus, "dass sie eben nicht auf andere angewiesen ist." SPD-Chef Lars Klingbeil wiederum lobt die Linke in der Talksendung Maischberger. Er sei "wirklich dankbar", "wie verantwortungsvoll die Partei Die Linke sich da im Parlament verhält". Dennoch betont auch er, dass die Koalition künftig eigene Mehrheiten sicherstellen müsse: "Diese Koalition wird in den nächsten dreieinhalb Jahren sehr viele Entscheidungen zu treffen haben und wir können nicht immer davon ausgehen, dass die Linke oder dass die Grünen uns da zur Seite springen."
Merz und Spahn: Funktioniert "Frühwarnsystem" in der Union nicht mehr?
Wackelige Mehrheiten bei schwierigen politischen Entscheidungen: Politikwissenschaftler Gross nennt das fehlende Vertrauen innerhalb der Koalition als Grund, aber auch strukturelle Probleme in der Union. Dort scheine das interne "Frühwarnsystem nicht zu funktionieren". Folgende Beispiele nennt er: die Kanzlerwahl im zweiten Anlauf, die verpatzte Richterwahl oder die seit Langem absehbare Kritik der Jungen Union zur Rentenpolitik. Helmut Kohl oder Angela Merkel hätten regelmäßig die Stimmung in der Fraktion und an der Parteibasis abgeklopft. "Zu horchen, was in der Partei los ist", fehle Merz und seinen Leuten, so Gross. Er wirft die Frage auf, ob "Kanzleramt und Parteivorsitz in einem vielleicht nicht mehr die Lösung ist".
Die Entscheidung am Freitag reicht somit weit über die Rentenpolitik hinaus. Sie berührt grundlegende Fragen: Wie stabil ist diese Regierung? Steht die Union hinter Spahn und Merz? Die nächsten großen Entscheidungen stehen bevor – und jede davon birgt das Potenzial, erneut zur Machtprobe zu werden.
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