Viele Jahre lang wurde die Bundeswehr auf Verschleiß gefahren. Doch ein Blick in die Statistik der Rüstungsbeschaffungen zeigt, dass die Bundesregierung inzwischen die Weichen für eine Modernisierung gestellt hat. Allein im vergangenen Jahr hat der zuständige Bundestagsausschuss fast 100 Großprojekte bewilligt – so viele wie noch nie. Dazu zählen moderne Luftverteidigungssysteme, U-Boote oder Kampfpanzer für die neue Litauen-Brigade, an der auch eine bayerische Bundeswehreinheit beteiligt ist.
Doch angesichts der Bedrohung durch das Putin-Regime will die Bundesregierung die Schlagzahl nochmal erhöhen. Am Mittwoch hat sie einen gemeinsamen Gesetzentwurf von Wirtschafts- und Verteidigungsministerium auf den Weg gebracht, ein Update für eine schon bestehende Regelung. "Abschreckung ist die beste Verteidigung", sagt Wirtschaftsministerin Katherina Reiche. Deutschland muss aus Sicht der CDU-Politikerin "technologisch und industriell stärker werden als potenzielle Angreifer". Verteidigungsminister Boris Pistorius von der SPD spricht von einem Quantensprung für die Bundeswehr.
Mehr Tempo auch bei Sanitätsmaterial für Bundeswehr
Vorfahrt sollen künftig nicht nur Aufträge für militärisches Gerät wie Panzer oder Drohnen haben. Sondern auch solche für Sanitätsbedarf wie medizinische Geräte, Verbandsmaterial oder Medikamente. Auch wenn Kasernen neu gebaut oder instandgehalten werden, sollen Aufträge dafür in Zukunft schneller abgewickelt werden können.
Zu diesem Zweck werden entsprechende Vorhaben mit dem schwarz-roten Gesetzentwurf als "wesentliches nationales Sicherheitsinteresse" definiert. Das ermöglicht Ausnahmen vom europäischen Vergaberecht – und damit mehr Tempo bei der Beauftragung von Rüstungsunternehmen.
Mehr Spielräume für Bundeswehr bei Auftragsvergabe
Auch die Möglichkeiten zur Direktvergabe will die Regierung ausweiten. Gemeint sind Aufträge, die das Verteidigungsministerium ohne aufwändiges Verfahren vergeben darf. Das soll künftig bei einem Auftragswert von bis zu 443.000 Euro möglich sein, wenn damit die Verteidigungsfähigkeit des Landes gestärkt wird. Nach den Worten von Pistorius können so fast 8.000 Aufträge schneller bearbeitet werden. Bei Bauvorhaben liegt die Obergrenze noch höher.
Die Frage ist allerdings, ob die Verwaltung die so entstehenden Spielräume wirklich ausschöpft. Darauf verweist der Politikwissenschaftler Christian Mölling im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio. In der Vergangenheit sei die Aufforderung, ins Risiko zu gehen, von den Beamtinnen und Beamten der zuständigen Behörden oft nicht mittgetragen worden – aus Sorge um die eigene Karriere.
Grüne: neues Gesetz kein Durchbruch für Bundeswehr
Die Grünen im Bundestag weisen auf ein anderes Problem hin. Aus Sicht der sicherheitspolitischen Sprecherin der Fraktion, Sara Nanni, liegen die Herausforderungen nicht zuletzt bei industriellen Kapazitäten und teilweise auch bei der Zuverlässigkeit von Lieferanten. Auf BR24-Anfrage stellt die Abgeordnete fest: "All das kann man legislativ nicht anpacken, da muss das Ministerium ran." Zuletzt hatten Verzögerungen bei einem milliardenschweren Auftrag für neue Kriegsschiffe Schlagzeilen gemacht. Als Grund nannte das Verteidigungsministerium interne Probleme der beauftragten Firma.
So etwas passiere immer wieder, kritisiert auch der SPD-Politiker Andreas Schwarz. Der Bamberger Abgeordnete setzt aber darauf, dass das Problem mit dem neuen Gesetz kleiner wird – zumal Verteidigungsausgaben inzwischen von der Schuldenbremse ausgenommen sind. Schwarz geht davon aus, dass die Industrie jetzt "den Ball aufnimmt und Produktionskapazitäten aufbaut".
Pistorius verspricht Rüstungsindustrie Planungssicherheit
Genau das hofft auch sein Parteifreund Pistorius. Nach Ansicht des Ministers trägt das neue Gesetz dazu bei, Planungssicherheit für Unternehmen zu schaffen. Auch durch das Instrument von Abnahmeverpflichtungen, die über bloße Rahmenverträge hinausgehen. So habe die Industrie Klarheit darüber, "was sie in den nächsten Jahren absetzen kann".
Der Verteidigungsminister erhofft sich von dem neuen Gesetz "enorme Erleichterungen", will aber nicht ausschließen, dass irgendwann ein weiteres Update nötig werden könnte. Schließlich könne man in diesen Zeiten nie sagen, dies sei "die letzte Reform von irgendetwas". Eine der wenigen sicherheitspolitischen Gewissheiten, drei Jahre nach dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine.
Im Video: Beschleunigte Aufrüstung der Bundeswehr
Das Bundeswehr-Beschaffungs-Beschleunigungs-Gesetz: Dieses Wortungetüm soll helfen, die Bundeswehr schneller zu modernisieren.
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