Die Silhouetten von Fahrgästen zeichnen sich am Hauptbahnhof Hannover vor einem Regionalzug ab.
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Schützt ein Hinweis auf das eigene Schwarzfahren vor Verurteilung? Ein aktueller Fall in Leipzig verhandelt diese Frage neu.
Bildrechte: dpa-Bildfunk/Julian Stratenschulte
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Schützt ein Hinweis auf das eigene Schwarzfahren vor Verurteilung? Ein aktueller Fall in Leipzig verhandelt diese Frage neu.

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Straffrei bei Schwarzfahren mit Schild: Wie kann das sein?

Straffrei bei Schwarzfahren mit Schild: Wie kann das sein?

Wer in Deutschland ohne gültiges Ticket Bahn fährt, der begeht noch immer eine Straftat. In Leipzig wurde eine Person nun freigesprochen, weil sie mit einem Schild offen darauf hingewiesen hatte, ohne Ticket zu fahren. Wie ist das möglich?

Über dieses Thema berichtet: Kontrovers am .

Eine 29-jährige, non-binäre Person aus Leipzig ist bei ICE-Fahrten in weiten Teilen des deutschen Streckennetzes mehrmals ohne gültigen Fahrschein angetroffen worden. Mit dabei soll sie einen DIN-A4-großen Karton mit sich getragen haben. Die Aufschrift: "Ich fahre ohne gültigen Fahrschein! Es ist genug für alle da. Mobilität sollte keine Klassenfrage sein."

Schwarzfahren: Freispruch dank Pappschild?

Durch dieses Pappschild konnte die angeklagte Person nun einer Verurteilung entgehen. Denn: im Paragraf 265a des Strafgesetzbuches wird das Erschleichen von Leistungen unter Strafe gestellt – im Fall der Person aus Leipzig sei gerade das aber nicht passiert. "Für eine Leistungserschleichung muss man, wie das Wort schon sagt, erschleichen", erklärt Stefan Blaschke, Sprecher des Amtsgerichts Leipzig, gegenüber der Leipziger Volkszeitung (externer Link, möglicherweise Bezahlinhalt).

"Ich würde allerdings absolut nicht dazu raten, das jetzt nachzumachen", sagt Jenny Lederer, Fachanwältin für Strafrecht in Essen im Gespräch mit BR24. "Letzten Endes geht es um juristische Finessen, wie etwa die Frage, wie deutlich erkennbar für Dritte das Schild getragen wurde", ergänzt die Juristin.

Freigesprochene: Schwarzfahren ist "aktivistische Aktion"

Nach eigenen Angaben handelte die angeklagte Person dabei aus politischen Motiven: mit der Schwarzfahr-Aktion wollte sie Aufmerksamkeit erzeugen für die Forderung nach einem kostenlosen öffentlichen Nahverkehr – entsprechend auch der Satz "Mobilität sollte keine Klassenfrage sein" auf dem Pappschild.

Der Fall aus Leipzig ist dabei nicht der erste dieser Art - 2019 machte ein Schwarzfahr-Aktivist aus dem oberbayerischen Gilching ähnliche Schlagzeilen. Der Mann musste sich wegen des Erschleichens von Leistungen in ganzen 23 Fällen verantworten. Auch er hatte stets ein Schild mit sich geführt, um auf sein Schwarzfahren aufmerksam zu machen – er wurde von dem Jugendgericht Starnberg dennoch zu einer Geldstrafe von 900 Euro verurteilt.

Schwarzfahren als Straftat – das sind die Hintergründe

Beiden Verfahren liegt der Paragraf 265a des Strafgesetzbuches zugrunde, der noch aus der Zeit des Nationalsozialismus stammt. In den vergangenen Jahren gab es auf Ebene der Bundespolitik immer wieder Vorstöße, den umstrittenen Paragrafen abzumildern. Verkürzt heißt es in dem Gesetzestext: Wer "die Beförderung durch ein Verkehrsmittel […] in der Absicht erschleicht, das Entgelt nicht zu entrichten, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft".

Nach Ansicht vieler bayerischer Verkehrsbetriebe ist das auch richtig so. "Wir benötigen die Abschreckung", sagte etwa Bernd Rosenbusch, Geschäftsführer des Münchner MVV, vor Kurzem gegenüber der Süddeutschen Zeitung (externer Link, möglicherweise Bezahlinhalt).

Bestraft die Gesetzeslage Menschen, weil sie arm sind?

Das Gesetz bestrafe die Schwächeren in der Gesellschaft unverhältnismäßig stark und verschwende darüber hinaus die Ressourcen des Rechtsstaats, kritisiert hingegen die Anwältin Jenny Lederer. Das Strafrecht sei ein "scharfes Schwert" und sollte deshalb nicht gegen Bagatelldelikte wie das Schwarzfahren angewandt werden, erläutert die Juristin gegenüber BR24. Auch deshalb setzt sich die Anwältin für eine Entkriminalisierung des Schwarzfahrens ein.

Und sie ist damit nicht allein: "Die Betroffenen sind überwiegend arbeitslos (87 %), ohne festen Wohnsitz (15 %) und suizidgefährdet (15 %)", so die Initiative Freiheitsfonds. Sie sammelt regelmäßig Geld, um verurteilte Menschen aus der Haft freikaufen zu können.

Denn: wer die Geldstrafe nicht bezahlen kann oder nicht rechtzeitig auf den Bescheid des Gerichts antwortet, der riskiert eine sogenannte Ersatzfreiheitsstrafe. "Das trifft dann diejenigen, die sowieso schon durch die Netze fallen", ergänzt die Anwältin Lederer. Durch Haftstrafen wird das Leben der Betroffenen noch zusätzlich aus der Bahn geworfen (Link zur Tagesschau).

Freigesprochen, aber nicht ungestraft

Auf diese Situation wollen die Schwarzfahrer aus Leipzig und Gilching mit ihren Aktionen aufmerksam machen. Doch auch für die Person aus Leipzig gilt: Ein Freispruch im Strafverfahren bedeutet nicht, dass das Fahren ohne Ticket gänzlich geduldet wird. Das sogenannte "erhöhte Beförderungsentgelt" (also etwa die 60 € Gebühr im ÖPNV) ist nicht Teil dieses Prozesses – und muss deshalb unabhängig von dem Freispruch genauso bezahlt werden.

Im Video: Wie sinnvoll ist die Ersatzfreiheitsstrafe?

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