Nach den Festnahmen bei den Massenprotesten gegen die Verhaftung des populären Istanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoglu hat die Opposition in der Türkei die Misshandlung festgehaltener Studenten angeprangert. Die Gefangenen seien in Polizeigewahrsam "psychologischer Folter" ausgesetzt gewesen, sagte der Chef der größten Oppositionspartei CHP, Özgur Özel, nach seinem Besuch bei Imamoglu und festgenommenen Demonstranten im Istanbuler Gefängnis Silivri am Sonntag.
Opposition beklagt Beschimpfungen und Misshandlungen
Die Studentinnen und Studenten wurden nach Angaben Özels stundenlang festgehalten, ohne gesagt zu bekommen, in welches Gefängnis sie gebracht werden würden. "Jeder Student war Beschimpfung und Misshandlung ausgesetzt", so Özel. Sie hätten "Tritte gegen den Kopf" und "Druckausübungen auf ihren Kopf" ertragen müssen. Die CHP berichtete teils auch von sexuellem Missbrauch.
Der CHP-Chef forderte die sofortige Freilassung der Gefangenen, da sie "kein Blut an ihren Händen" hätten. Grundsätzlich gehe es ihnen gut, sie sollten jedoch nicht "18 bis 20 Tage bis zu ihrer ersten Anhörung im Gefängnis gehalten werden", sagte er. "Das Rufen von Parolen, das Marschieren oder Protestieren ist kein Verbrechen, sondern ein von der Verfassung verbrieftes Recht", sagte auch CHP-Parteisprecher Deniz Yücel.
Provinzgouverneur bedankt sich bei der Polizei
Der von der Regierung ernannte Provinzgouverneur von Istanbul, Davut Gül, bedankte sich am Sonntag bei der Polizei, die ihre Pflichten in Zusammenhang mit den Protesten "ordnungsgemäß" erfüllt habe.
Imamoglu wurde am 19. März festgenommen und dann verhaftet. Er gilt als größter Rivale des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und ist für viele Türken ein Hoffnungsträger für einen politischen Wandel. Seine Partei hatte ihn trotz seiner Inhaftierung zum Kandidaten für die Präsidentschaftswahl 2028 gekürt.
Rund 2.000 Festnahmen seit Beginn der Proteste
Seit Beginn der Proteste wurden nach Angaben des türkischen Innenministeriums rund 2.000 Menschen festgenommen, 260 von ihnen befinden sich in Untersuchungshaft. Auch mehrere Journalisten und Anwälte waren unter den Festgenommenen, einige wurden wieder freigelassen.
Die Opposition spricht von 301 Verhafteten. Künstler wie der türkische Pianist Fazil Say beklagten auf X, dass 301 Menschen das Zuckerfest im Gefängnis verbringen müssten. Auch der Komponist Zülfü Livaneli teilte dasselbe Bild. In ersten Anklageschriften werden Berichten zufolge bis zu drei Jahre Haft für einige von ihnen gefordert.
Neben Say haben sich auch Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk, die Sängerin Sezen Aksu und der Pop-Sänger Tarkan zu Wort gemeldet. "Wenn ich tagelang sehe, wie Menschen aus allen Gesellschaftsschichten Schulter an Schulter für Demokratie und Gerechtigkeit, ihre grundlegendsten Rechte, eintreten, gibt mir das Hoffnung für mein Land", schrieb Tarkan auf X (Externer Link auf Türkisch).
Ex-Fußballer Mesut Özil, inzwischen Mitglied der AKP von Erdogan, äußerte sich dagegen nicht zu den Protesten oder den Inhaftierten. Vielmehr veröffentlichte Özil auf X ein Video, in dem er zusammen mit seiner Tochter dem Staatspräsidenten einen schönen Feiertag wünscht.
- Zum Artikel: Warum Imamoğlu für Erdogan gefährlich werden könnte
Während des Zuckerfests nach dem Fastenmonat Ramadan sind die Straßenproteste vorerst abgeflaut. Die CHP kündigte aber ab der zweiten Aprilwoche neue Proteste an. Künftig soll es jeden Mittwoch eine Kundgebung in Istanbul geben und jeden Samstag in einer anderen türkischen Stadt. Gleichzeitig läuft eine Unterschriftenkampagne der CHP, die die Freilassung Imamoglus und vorgezogene Neuwahlen fordert. Zudem gibt es Aufrufe in den sozialen Medien für einen Wirtschaftsboykott am kommenden Mittwoch.
Mit Informationen von AFP und dpa
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