Migranten warten in der Zentralen Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber in Zirndorf in Bayern in einem Gang auf einen Termin in der Behörde.
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(Symbolbild) Die Äußerungen des BAMF-Präsidenten Hans-Eckhard Sommer haben die Debatte um Migration befeuert.

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Abkehr vom individuellen Asylrecht? Worum sich der Streit dreht

Abkehr vom individuellen Asylrecht? Worum sich der Streit dreht

Mit dem Vorstoß zu einer radikalen Wende in der Asylpolitik hat BAMF-Präsident Sommer eine heftige politische Debatte ausgelöst. Was würde eine Abkehr vom individuellen Asylrecht hin zu einer Kontingentlösung bedeuten? Wichtige Fragen und Antworten.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Während die Koalitionsverhandlungen laufen, hat der Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit Aussagen zum Asylrecht für Wirbel gesorgt. Hans-Eckhard Sommer sprach sich bei einer Veranstaltung der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in einer "persönlichen Einschätzung" dafür aus, Flüchtlinge ausschließlich über humanitäre Aufnahmekontingente aufzunehmen und stellte damit das individuelle Recht auf Asyl infrage. Worum dreht sich der Streit zum individuellen Asylrecht? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Individuelles Asylrecht vs. Aufnahmekontingent: Was ist der Unterschied?

Individuelles Asylrecht heißt, "dass man einen subjektiven rechtlichen Anspruch hat und dass man das auch bei Gericht einklagen kann", erklärt Rechtsanwalt Franz Bethäuser, zu dessen Spezialgebieten Asylrecht zählt. Verankert ist das individuelle Asylrecht im Grundgesetz, Artikel 16a: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht." Jede Person kann, unabhängig davon, aus welchem Land sie stammt, an der Grenze um Asyl bitten. Sie wird dann zunächst aufgenommen, bis über den Asylantrag entschieden ist. Abhängig davon kann sie dann dauerhaft bleiben oder nicht.

"Beim individuellen Recht kann man darauf bestehen, dass der Asylanspruch geprüft wird", erläutert Bethäuser im BR24-Interview. Der Unterschied zu einer institutionellen Garantie oder einer Kontingentlösung sei, dass diese nicht einklagbar sei. Derjenige, der ein Kontingent gewähre, bestimme, wer darunter fällt.

Anstelle eines rechtlichen Anspruchs tritt dann die Vorgabe von Bundesland oder Bund. So hat Deutschland zum Beispiel für Ortskräfte aus Afghanistan ein Aufnahmeprogramm beschlossen, welches nunmehr gestoppt wurde. Ein Kontingent- oder humanitäres Aufnahmeprogramm kann also unter jetzigen Bedingungen bereits gemacht werden – aber zusätzlich zum bestehenden individuellen Asylrecht und nicht als dessen Ersatz.

Könnte Deutschland auf eine Kontingentlösung umstellen?

Nach persönlicher Ansicht von BAMF-Präsident Sommer wäre es sinnvoller, das aktuelle System durch humanitäre Aufnahmen "in beachtlicher Höhe" zu ersetzen. Neben humanitären Gesichtspunkten könne hier auch die Integrationsfähigkeit des Arbeitsmarkts eine Rolle spielen. Wer dennoch unerlaubt nach Deutschland einreise, hätte dann keine Aussicht mehr auf ein Bleiberecht. Dabei müsse die Zahl der Menschen festgelegt werden, die die Europäische Union jährlich aufnehmen würde. Auch die Staaten müssten ausgewählt werden, aus denen die Menschen aufgenommen würden, erläuterte Sommer.

Aber: Eine Umstellung auf eine Kontingentlösung könne Deutschland nicht alleine umsetzen, das müsste – so Rechtsanwalt Bethäuser – gesamteuropäisch erfolgen. Dabei hält er es für einen "Irrglauben", dass alle Mitgliedsländer mitmachen würden. "Alles, was in Europa bisher an rechtlichen Regelungen da ist, müsste man über den Haufen werfen", sagt Bethäuser. Für das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS), das Mitte 2026 in Kraft treten soll, hätten die EU-Länder fast zehn Jahre lang verhandelt. Wenn man das jetzt alles wieder ändern wolle, so Bethäuser, könne man sich die Zeiträume vorstellen, die das beanspruchen würde – wenn es überhaupt Aussicht auf Erfolg hätte.

Dass nationales Recht durch europäisches Recht überlagert werde, sei eine Konsequenz der EU. Bestimmte nationale Regelungen könne man zwar machen, aber sie hätten im Grunde keine Wirkung, weil europäisches Recht auch noch vorhanden sei. "Das ist auch bei Dublin-Verfahren das Problem. Die Zurückweisung an Grenzen geht schlicht nicht, weil die Dublin-Verordnung es nicht zulässt", so Bethäuser.

Welche Vorschriften müssten geändert werden?

Wenn man sich vom individuellen Asylrecht verabschieden wollte, müsste man viele Vorschriften ändern, beziehungsweise sich von ihnen trennen, sagt Bethäuser. Für die Änderung des Artikels 16a GG ("Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.") bräuchte es eine Zweidrittel-Mehrheit im Bundestag, wobei eine Anerkennung nach 16a ohnehin nur möglich ist, wenn keine Einreise über ein Drittland erfolgt. Zudem müssten Normen nach dem Asylgesetz geändert werden, weil auch nach dem Asylgesetz die Flüchtlingseigenschaft zugesprochen werden könne.

Es gebe auch noch andere Vorschriften, die individuelle Rechte beinhalten: zum Beispiel die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), deren Artikel 33 ein Abschiebungsverbot beinhalte, oder die Europäische Menschenrechtskonvention mit einem Verbot von Folter und unmenschlicher Behandlung. Auch die EU-Charta und der Vertrag über die Arbeitsweise der EU müssten geändert werden. "Und letztlich müsste man auch Artikel 1 – die Würde des Menschen ist unantastbar – ändern, weil sonst die Möglichkeit besteht, dass sich jemand auf den stützt. Aber die Änderung des Artikel 1 ist rechtlich ausgeschlossen", führt Bethäuser das Gedankenspiel zu Ende.

Spricht historisch etwas für institutionelles Asylrecht?

Dennoch gibt es in der gesellschaftlichen Debatte auch Stimmen, die für ein Ende des individuellen Rechts auf Asyl in Deutschland eintreten. So schrieb der Historiker Heinrich August Winkler in einem Gastbeitrag für den "Spiegel" (externer Inhalt, möglicherweise Bezahlinhalt): "Ein Recht auf Asyl in einem bestimmten Land ist den Vätern und Müttern des Grundgesetzes niemals in den Sinn gekommen. Es wäre in der Praxis auf ein allgemeines Recht auf Einwanderung hinausgelaufen." Vielmehr sei eine "kluge Entscheidung für ein institutionelles Asylrecht, basierend auf bestimmten Regeln des Völkerrechts" getroffen worden.

Dem Ausschuss für Grundsatzfragen des Parlamentarischen Rates habe im September 1948 ein Entwurf vorgelegen mit der Formulierung: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht im Rahmen des allgemeinen Völkerrechts." Den Schöpfern des Grundgesetzes sei es also um ein institutionelles, vom Staat zu gewährendes Asylrecht gegangen, nicht um einen Rechtsanspruch des Einzelnen.

Es lasse sich laut Winkler nicht leugnen, dass sich illegal eingereiste Ausländer nur auf das Asylrecht berufen müssten, um sich zumindest einen vorläufigen Bleibestatus zu verschaffen. "Wer die faktische Umwandlung des deutschen Asylrechts in ein Einwanderungsrecht effektiv beenden will, muss das subjektive durch das institutionelle Asylrecht ersetzen", so der Historiker.

Jahrzehntelange Debatte um individuelles Asylrecht

Die Debatte um das individuelle Asylrecht gibt es schon sehr lange. So hatte die CSU zum Beispiel bereits in der 90er-Jahren gefordert, das individuelle Recht auf Asyl durch eine institutionelle Garantie zu ersetzen.

Die damalige Regierungskoalition von CDU/CSU und FDP einigte sich mit der oppositionellen SPD auf einen Asylkompromiss. Auf dessen Grundlage wurde das Grundgesetz 1993 geändert. Das individuelle Recht auf Asyl bekam eine Einschränkung: In der Regel haben danach diejenigen Personen keine Chance mehr auf Asyl, die aus "verfolgungsfreien" Ländern stammen oder über sogenannte sichere Drittstaaten einreisen (externer Link, Bundeszentrale für politische Bildung).

BAMF-Chef Sommer war früher unter anderem Büroleiter des damaligen CSU-Chefs Edmund Stoiber. 2018 machte ihn der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) zum Leiter des BAMF.

Mit Informationen von epd

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