Abtauchen, abtropfen lassen. Wer in diesen Tagen versucht, Abgeordnete von CDU oder CSU darüber zu befragen, was sie vom Rückzug der Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf halten, bekommt im besten Fall nichtssagende Phrasen. Aber die meisten: schweigen. Der CDU-Fraktionschef Jens Spahn, dem viele eine erhebliche Mitschuld an der gescheiterten Wahl vom 11. Juli geben, hat einer Nachrichtenagentur ein paar Zeilen diktiert: Er "bedaure, dass diese Lage auch durch die zu späte Ansprache unserer inhaltlichen Bedenken entstehen konnte" – wer genau hinschaut, findet einen Hauch von Selbstkritik. Nun aber werde man "mit der nötigen Ruhe und Sorgfalt eine gemeinsame Lösung mit dem Koalitionspartner finden". Soweit der Plan von Spahn.
Bei der SPD herrschen Enttäuschung und Wut
Ob dieser Plan aufgeht, ist alles andere als gewiss. In der SPD-Fraktion nämlich herrscht vor allem ein Gefühl vor: Wut. So fragt sich nicht nur die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen, "ob künftige Absprachen mit diesem wankelmütigen Koalitionspartner Bestand haben werden". Ihre Vorsitzenden, Maria Noichl und Ulrike Häfner, sehen die vertrauensvolle Zusammenarbeit "empfindlich gestört": "Wir, die SPD FRAUEN, fragen uns nun, wann CDU/CSU als nächstes die Werte demokratischer Gepflogenheiten verrät und dem Antifeminismus Vorschub leistet. Es ist mehr als alarmierend, wenn der Koalitionspartner kein Rückgrat hat."
Auch die SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil und Bärbel Bas, beides Mitglieder im Kabinett Merz, wählen nach dem Rückzug von Frauke Brosius-Gersdorf eine sehr viel deutlichere Sprache. Bas fordert ultimativ, die Union müsse für sich klären, dass "so etwas nie wieder vorkommt".
Vertrauen in der Koalition erodiert
Die Vertrauensbasis zwischen den Koalitionspartnern war bereits zu Anfang der schwarz-roten Koalition nicht gerade stabil. Was nicht zuletzt die zunächst einmal gescheiterte Kanzlerwahl von Friedrich Merz eindrucksvoll bewies. Vor allem die SPD wurde und wird nicht müde zu betonen, dass aufgrund des Wahlausgangs nur diese Koalition möglich gewesen war – wenn man die AfD aus der Regierung heraus- und von der Macht fernhalten wollte.
Auch Neuwahlen waren keine Option, und so kam es zu einer "Vernunftkoalition". Die vor allem von einem Gedanken zusammengehalten und angetrieben wird: geräuschlos regieren, um die Ränder nicht zu stärken und bei der kommenden Bundestagswahl nicht einer AfD, die der Verfassungsschutz in Teilen als gesichert rechtsextrem einordnet, zur Macht zu verhelfen. Eine Spange, ein Korsett, das die Koalition von außen zusammenhält. Von innen ist wenig Zusammenhalt zu spüren, auch weil die Parteien "von unterschiedlichen Standpunkten kommen", wie es Kanzleramtsminister Thorsten Frei (CDU) beschreibt.
SPD: "Frage nach Alternativen zu dieser Koalition"
Alles, aber nicht wie die Ampel regieren, war die erste Devise von CDU, CSU und SPD. Nur steht diese Koalition nun sehr viel früher als die Ampel vor einem sehr viel tieferen Abgrund. So sieht es jedenfalls die bayerische SPD-Bundestagsabgeordnete Carolin Wagner: "Wir können als SPD nur in dieser Koalition weitermachen, wenn wir uns auf Zusagen und vereinbarte Verfahrensweisen verlassen können. Sonst wird die Koalition einseitig - wir halten unsere Versprechen ein und die Union erklärt alles zur Gewissensfrage. Das geht so nicht und das darf die SPD nicht mit sich machen lassen."
Wagner geht im Gespräch mit BR24 noch einen Schritt weiter. Wenn die Union nicht rasch zu Geschlossenheit und Zuverlässigkeit finde, müsse sich die SPD "die Fragen nach Alternativen zu dieser Koalition stellen". Ein Satz mit hoher Sprengkraft. Dass die Partei derzeit in Umfragen bei 13 Prozent steht, ist sicherlich mitverantwortlich für die schlechte Stimmung, spielt aber offenbar hier keine Rolle. Insofern ist es kritisch, wie die nächste Wahl der Richterinnen zum Bundesverfassungsgericht abläuft. Eine weitere Demontage ihrer Kandidatin wird die SPD nicht mitmachen.
Im Video: Politikforscher Steup über den Kurs der Bundesregierung
Politikforscher Johannes Steup im Interview
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