Boris Pistorius wirkt entspannt an diesem Donnerstagmorgen. Lächelnd geht der Verteidigungsminister mit seinem Tross über die Fraktionsebene des Bundestags. Noch ein freundliches "Guten Morgen" an die Adresse der Journalisten, dann ist der SPD-Politiker erstmal verschwunden. Sowohl seine Fraktion als auch die Abgeordneten von CDU und CSU haben sich zu Sondersitzungen getroffen. Denn es gibt viel zu besprechen, nachdem die Koalition am späten Abend den Durchbruch beim Wehrdienstgesetz geschafft hat.
Pistorius zum Wehrdienst: "Europa schaut auf Deutschland"
Wenig später tritt Pistorius zusammen mit den Führungsleuten der Regierungsfraktionen vor die Kameras. "Diese Woche ist eine besondere", sagt der Minister. Am Mittwoch das 70. Jubiläum der Bundeswehr mit einem feierlichen Gelöbnis und jetzt eine Einigung bei einem zentralen Gesetzgebungsvorhaben. "Europa schaut auf Deutschland", so Pistorius.
Auch Unionsfraktionschef Jens Spahn geht auf den zeitlichen Zusammenhang mit dem Bundeswehr-Geburtstag ein. "Das hat Symbolkraft", findet der CDU-Politiker. Den Kern der Einigung beschreibt Spahn so: "Wir werden mehr Verbindlichkeit in der Freiwilligkeit haben." Ganz ähnlich äußert sich Alexander Hoffmann, der Chef der CSU-Abgeordneten im Bundestag. Nach seinen Worten setzt man auf "die richtige Mischung aus Freiwilligkeit und Verpflichtung".
Wehrdienstmodell: Einigung mit offenen Fragen
Allerdings lenken damit beide Unionsmänner die Aufmerksamkeit – wohl unbeabsichtigt – auch auf ein Spannungsverhältnis, das diesem Kompromiss innewohnt. Welches Prinzip bestimmt nun diesen schwarz-roten Wehrdienst: Wahlfreiheit oder Pflicht?
Im Einzelnen haben sich Union und SPD darauf verständigt, dass ab Anfang nächsten Jahres ein digitaler Fragebogen an alle jungen Männer und Frauen verschickt werden soll. Und zwar rund um deren 18. Geburtstag. Männer müssen, Frauen können antworten und damit deutlich machen, ob sie bereit zum Dienst an der Waffe wären – und ob sie dafür nach eigener Einschätzung fit genug wären.
Union setzt regelmäßige Berichte über Rekrutierungsstand durch
Der Wehrdienst an sich bleibt zunächst freiwillig. Ein Punkt, den Pistorius mit Blick auf die Stimmungslage in der SPD-Fraktion immer wieder hervorhebt. Neu ist, dass der Minister alle sechs Monate einen Bericht vorlegen muss. Dieser soll Auskunft darüber geben, wie viele junge Leute sich freiwillig melden. Damit erfüllt Pistorius eine Forderung von CDU und CSU.
Falls auf diese Weise nicht genügend Rekrutinnen und Rekruten zusammenkommen, soll eine "Bedarfswehrpflicht" greifen. Auch dies war der Union wichtig. In seinem solchen Szenario ist geplant, dass junge Männer verpflichtend einberufen würden. Und zwar so viele und so lange, bis die Rekrutierungsziele erfüllt sind. Mittelfristig will Pistorius mit dem neuen Modell pro Jahr rund 20.000 bis 30.000 Wehrdienstleistende gewinnen. Um die Bedarfswehrpflicht zu aktivieren, wäre eine Zustimmung des Bundestags erforderlich.
Verteidigungsministerium will Wehrerfassung stärken
Ein weiteres Pflichtelement kommt hinzu: Die Musterung soll ab Mitte 2027 für alle junge Männer verpflichtend werden – und schrittweise schon nächstes Jahr anlaufen. So will sich das Verteidigungsministerium einen Überblick darüber verschaffen, wer im Ernstfall eingezogen werden könnte. Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung bleibt von alldem unberührt.
Die Mischung aus Freiwilligkeit und Pflicht mag dem Koalitionsfrieden dienen, aber das Ergebnis ist ein komplexes Modell. Pistorius scheint zu ahnen, dass dies manche in der jungen Generation zusätzlich verunsichern könnte. Vorsichtshalber stellt er fest: "Es muss niemand Angst haben." Zunächst bleibe es beim Prinzip der Freiwilligkeit, verbunden mit finanziellen Vorteilen: 2.600 Euro brutto und Zuschüsse zum Führerschein soll es geben.
Wehrdienst: Kritik von Bundesschülerkonferenz
Auch damit will der Minister jungen Leuten den Wehrdienst schmackhaft machen – zusätzlich zu dem, was er wiederholt als sinnstiftendes Angebot umschrieben hat. Stichwort: Landesverteidigung. Allerdings ist offen, ob das Regierungsbündnis mit seiner Kommunikation wirklich das Gefühl junger Menschen trifft.
Ein Auftritt zu Wochenbeginn ließ viele in Berlin aufhorchen. Im Bundestag fand eine Anhörung zum neuen Wehrdienstgesetz statt. Einer der Sachverständigen war Quentin Gärtner von der Bundesschülerkonferenz. Aus seiner Sicht wurden junge Menschen bisher nicht einbezogen, obwohl es um deren "Lebensaussichten" gehe. Wie es aussieht, muss die Regierung noch Überzeugungsarbeit leisten.
Im Video: BR24live vom 13.11. zum Thema
Einigung auf neues Wehrdienstgesetz
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