Während andere am Samstagmorgen schlafen, will Helen Straßberger eine Meisterschaft holen. Der Wettkampfort: Ein Parkplatz, nahe dem Fasaneriesee im Münchner Stadtbezirk Feldmoching-Hasenbergl. Das Sportgerät: Eine Müllzange.
So kann Helen Münchner Müllmeisterin werden
Aus einem Fahrradanhänger verteilt Helen Gummihandschuhe und Müllsäcke an ihre "Mannschaft". So stattet sie rund 20 ihrer Nachbarinnen und Nachbarn aus, die der Vermüllung ihres Viertels den Kampf angesagt haben. "Ich bin hier geboren und aufgewachsen", sagt Helen. "Nach 15 Jahren, in denen ich woanders gelebt habe, bin ich wieder gekommen und habe gemerkt: Hier ist mittlerweile echt viel Müll ."
Der Abfall soll weg, und dafür ein Pokal her. Gemeinsam treten sie bei der Münchner Müllmeisterschaft an. Insgesamt 26 Teams machen zeitgleich in ihren jeweiligen Stadtteilen das Gleiche wie sie: Müllsammeln um die Wette. Punkte gibt es für volle Säcke, aber auch für die meisten Zigarettenstummel und Kronkorken. Helen und ihr Team sammeln erst auf dem Parkplatz, dann strömen sie ins Viertel aus.
Müllflut ist eine weltweite Krise
Der Abfall, der Helen in ihrer Nachbarschaft nervt, ist global gesehen eine lebensbedrohliche Krise. Jedes Jahr landet eine Plastikflut von mehr als 10 Millionen Tonnen in den Ozeanen.
Das Problem: Eine Plastiktüte braucht 20 Jahre bis sie im Meer verrottet. Eine Plastikflasche sogar 450 Jahre. So lange sind sie eine tödliche Gefahr für Meerestiere. Wenn es so weiter geht, könnte es im Jahr 2050 nach Gewicht gerechnet mehr Plastik als Fische im Meer geben, schätzt die weltweite Natur- und Umweltschutzorganisation WWF.
Globales Problem beginnt vor der eigenen Haustür
Vor einer geschlossenen Bahnschranke in Feldmoching-Hasenbergl stauen sich Autos. Manche Fahrer lassen ihre Arme aus runtergelassenen Fenstern baumeln, lässig eine qualmende Zigarette zwischen den Fingern. Auf dem Grünstreifen daneben kniet Markus Mitterer und friemelt Zigarettenstummel aus dem Gras. Er hat den Münchner Nachhaltigkeitsverein "rehab republic" mitgegründet, der die Meisterschaft ausrichtet. Heute sammelt er auch mit.
Die Zigarette, die Mitterer zu den anderen in einem Eimer wirft, hätte 1000 Liter Wasser verunreinigen können, erzählt er. "Wenn so eine Kippe in ein kleines Bächlein kommt, und dann in die Isar, dann ist sie über die Donau schnell im Schwarzen Meer. Für Kleintiere eine Katastrophe." Den gleichen Weg hätten womöglich auch die Kronkorken, Plastikflaschen und Verpackungen genommen, die jetzt in seinem Müllsack liegen.
Helen will "Fehler rückgängig machen"
Politisch stockt der Kampf gegen diese Müllflut. Erst im August scheiterte nach drei Jahren Verhandlungen ein globales Abkommen der Vereinten Nationen gegen Plastikmüll. Auch deswegen findet es Helen wichtig zu handeln, damit "wir einen Beitrag leisten, dass wir wieder unsere Fehler rückgängig machen und anderen Leuten die Problematik mehr ins Bewusstsein rufen."
Für Helen zählt dafür jeder volle Müllsack, jede aufgesammelte Kippe. Nicht nur wegen des Meistertitels. Müllsammeln, das ist bei ihnen so etwas wie Familientradition. Ihre Mutter hat immer ein paar Handschuhe in der Tasche, um Müll aufzusammeln. Das hat Helen geprägt. Und darum hat sie auch ihre Kinder dabei. "Ich möchte ein Vorbild sein", sagt Helen. "Ich möchte, dass meine Kinder damit aufwachsen, dass es einfach selbstverständlich ist, dass wir den Müll trennen und so wenig wie möglich produzieren."
Über zwanzig volle Säcke: Reicht es für den Titel?
Mit fetter Beute trudeln die Sammlerinnen und Sammler nach ein paar Stunden wieder am Parkplatz ein: Autoreifen, Einkaufswagen, Schnuller, der Unterboden eines Autos, Kleiderständer. Helen steht im Müllberg und nimmt Säcke in Empfang. Mehr als zwanzig liegen auf einem Haufen. Haben sie damit eine Chance auf den Titel? Auf Helens Gesicht ist kein Gewinnerlächeln. "Es ist schon sehr erschreckend, wie unachtsam die Leute mit der Umwelt umgehen", sagt sie bei diesem Anblick.
Nach Auswertung der Jury ist klar: Für den Titel Münchner Müllmeister hat es nicht ganz gereicht. Macht nichts. Der Bürgerverein spendet Getränke, und so stellt sich nach dem Schock über die Müllmassen schnell Stolz ein. Stolz darüber, dass ihr Viertel sauberer ist und die gesammelten Kippen aus Feldmoching-Hasenbergl garantiert nicht im Meer landen.
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