Johannes Stein lächelt, als er vor die Kameras tritt. In Deutschland hat der Biophysiker jetzt einen Platz. Einen Ort, an dem er forschen kann – frei. Das ist längst keine Selbstverständlichkeit mehr.
Stein promovierte an der LMU München, war dann in Boston tätig, unter anderem an der Harvard Medical School. Anfang des Jahres spürt er in den USA, was politische Eingriffe in die Wissenschaft bedeuten können. "Zum Beispiel war an zwei Tagen nicht ganz sicher, ob mein Forschungsvisum am nächsten Tag noch gilt", erzählt er. Es sind diese Momente der Unsicherheit, die bleiben: Unsicherheit im System, Unsicherheit bei Fördermöglichkeiten. So fühlt sich Wissenschaftsfreiheit nicht an, Stein kehrt nach Deutschland zurück.
Vance: Universitäten "aggressiv angreifen"
Unter der Trump-Administration steht die Wissenschaft in den USA massiv unter Druck: Mit Hilfe von Verfügungen (executive orders) wird die Vergabe von Fördergeldern politisch kontrolliert. In Erinnerung bleibt auch Trumps Einreisestopp für ausländische Harvard-Studenten. Besonders betroffen vom US-Kampf gegen die Wissenschaft: Forschungsbereiche wie Klima oder Gender. Milliarden an Fördermitteln werden gekürzt, Wissenschaftler gefeuert.
Die Liste ist lang – und sie wächst. Bereits 2020 sagte Donald Trump: "Ich glaube, Wissenschaft weiß gar nichts." 2021 bezeichnete der heutige Vizepräsident JD Vance Universitäten als feindselige Institutionen, die es gelte, aggressiv anzugreifen.
Wissenschaftsfreiheit: Deutschland als sicherer Hafen für Forscher
Deutschland will dem etwas entgegensetzen, sich als sicherer Hafen für Wissenschaftler positionieren. "Umso wichtiger ist es, dass wir ihnen in Deutschland attraktive Karriereperspektiven bieten können", sagt Forschungsministerin Dorothee Bär (CSU). Ein zentrales Instrument: das sogenannte "1000 Köpfe Plus Programm". Ziel ist es, ein Signal der Wissenschaftsfreiheit zu senden, internationale Top-Talente zu gewinnen und den Wissenschaftsstandort Deutschland zu stärken. Von 2025 bis 2029 sollen 227 Millionen Euro in das Programm fließen, weitere 375 Millionen sind geplant, wie es heißt. Doch: Noch sind nicht alle Mittel für nächstes Jahr freigegeben. Bär versucht angesichts der Verzögerung zu beschwichtigen: Final soll es im Januar beschlossen werden.
Förderprogramm: Wissenschaftler aus der ganzen Welt in Deutschland
Das bereits laufende Programm, von dem auch Johannes Stein profitiert, sei „ein wichtiges Signal nach innen und nach außen, zum richtigen Zeitpunkt“, sagt Katja Becker, Präsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Grundsätzlicher wird Robert Schlögel, Präsident der Humboldt-Stiftung (AvH) mit Blick auf die USA: "Wenn Wissenschaft wirklich nur eine Softpower wäre, (…) dann würde sich kaum jemand anstrengen, sie so zu begrenzen, wie wir es im Augenblick erleben. So soft kann die Power ja offenbar nicht sein."
Seit dem Start im Sommer dieses Jahres werden 166 Forschende aus 25 Ländern gefördert. 26 von ihnen kommen aus den USA. Doch das Förderprogramm reicht weiter: Auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Indien, Südamerika oder Kanada profitieren – viele von ihnen hatten ursprünglich die USA im Blick, fürchten nun aber Trumps Kurs.
Was Forschende nach Deutschland zieht
Offen sprechen die im Bundesforschungsministerium anwesenden Forschenden darüber nur begrenzt. Wer weiß, ob eine öffentliche Kritik an Trump nicht die Rückkehrchancen für immer verbaut. "Man sagt niemals nein", meint Sevgi Tekat im BR24-Interview. Die türkische Medizininformatikerin promovierte an der University of California – noch unter der Biden-Regierung, und kam an die Technische Universität München, bevor Trump erneut gewählt wurde. Sie konnte noch die akademische Freiheit genießen, wie sie erzählt: "Daher war ich persönlich nicht von den aktuellen Veränderungen in den USA betroffen".
Doch wie blickt die 32-Jährige auf die aktuellen Entwicklungen in den USA? Sie spricht von einem Rückschritt. An eine Rückkehr in die USA denkt die 32-Jährige aktuell nicht. In München ist sie glücklich – auch wegen ihrer Tochter. Das deutsche Bildungssystem biete gute Möglichkeiten. Gelockt habe aber hauptsächlich Professor Daniel Rückert an der TUM: "ein Pionier", mit dem sie schon immer im Bereich KI arbeiten wollte.
Interesse am deutschen Forschungsstandort wächst
Auch Deutschland profitiert von dem Zustrom internationaler Fachkräfte, betont Forschungsministerin Bär. Das Interesse wächst: Die Präsidenten der DFG und AvH berichten von einem Anstieg der Anfragen und Anträge um rund 25 Prozent – und erwarten weitere Zuwächse. Auch unter Studierenden aus den USA rückt Deutschland stärker in den Fokus. Wie es vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) heißt, hat sich das Interesse an Forschungs- und Studienstipendien hierzulande mehr als verdoppelt. All das macht deutlich: Wissenschaft braucht Freiheit – und folgt ihr auch.
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