Egal ob bei Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Rente oder Arbeitslosengeld: Überall muss der Bund fast regelmäßig hohe Beträge an Steuermitteln überweisen, um keinen Kollaps des Sozialstaats zu riskieren. Auch die Beträge von Arbeitgebern und Arbeitnehmern in die Sozialkassen steigen seit Jahren an. Union und SPD haben sich deshalb vorgenommen, die Sozialsysteme in Deutschland zu modernisieren. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hat den Koalitionspartner SPD auf harte Diskussionen eingeschworen.
Merz: "Sozialstaat nicht mehr finanzierbar"
In einer Rede beim Landesparteitag der Niedersachsen-CDU in Osnabrück verlangte der Kanzler eine mutige Neuaufstellung des Sozialsystems und sagte, er wolle es der SPD bei diesem Vorhaben "nicht leicht machen". "Ich werde mich durch Worte wie Sozialabbau und Kahlschlag und was da alles kommt, nicht irritieren lassen", sagte Merz. "Der Sozialstaat, wie wir ihn heute haben, ist mit dem, was wir volkswirtschaftlich leisten, nicht mehr finanzierbar."
Fachkommissionen sollen Modernisierungsvorschläge unterbreiten
Hintergrund sind steigende Kosten und die Sparzwänge im Bundeshaushalt. CDU, CSU und SPD haben sich deshalb in ihrem Koalitionsvertrag auf grundlegende Reformen der Sozialversicherungssysteme verständigt. Die anvisierten Anpassungen sollen den Sozialstaat bezahlbar halten. Konkrete Vorschläge werden zum Teil in Fachkommissionen ausgearbeitet, im Herbst sollen erste Weichen gestellt werden.
CDU-Chef Merz sagte in Osnabrück, er wisse, dass die anvisierten Sozialstaatsreformen in einer Koalition mit der SPD "nicht so ganz einfach" seien. "Das ist ein Bohren dicker Bretter." Das Vorhaben sei "anstrengend für die Sozialdemokraten, für uns übrigens auch - und ich mache es denen auch bewusst nicht leicht", so Merz. Die von ihm geführte Bundesregierung habe aber die Pflicht, zu liefern.
Klingbeil warnt vor einer einseitigen Belastung für Arbeitnehmer
Auch SPD-Chef Lars Klingbeil warb für Reformen - und mahnte zu Gerechtigkeit. "Wir brauchen Strukturreformen, um die Beiträge dauerhaft stabil zu halten", sagte er den Funke-Zeitungen. Klingbeil stellte sich dabei vor allem vor die Arbeitnehmer: "Ich erwarte von allen Verantwortlichen mehr Fantasie als einfach nur Leistungskürzungen für die Arbeitnehmer", betonte der Vizekanzler. Bei allen Reformen müsse gelten: "Wir bleiben ein Land, das Menschen hilft, die in Not geraten, die krank werden und Hilfe brauchen."
Der Vorsitzende der SPD-Nachwuchsorganisation Jusos, Philipp Türmer, zog eine klare rote Linie: Bei Sozialkürzungen werde die SPD nicht mitmachen. "Wenn die Idee hinter einem Herbst der Reformen Sozial- und Leistungskürzungen sind, kann ich nur klipp und klar sagen: Die SPD darf da keinen Zentimeter mitgehen", sagte Türmer der "Stuttgarter Zeitung" und den "Stuttgarter Nachrichten".
Streit über Bürgergeldreform bahnt sich schon jetzt an
Mit Blick auf die geplante Neuaufstellung des Bürgergeldes appellierte Türmer an den gesamten Bundestag: "Jeder Abgeordnete sollte gut prüfen, welcher Änderung er zustimmen kann", sagte der Juso-Chef. "Die Gewissensfreiheit der Abgeordneten gilt auch bei sozialen Themen". CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann pochte hingegen auf einen "Paradigmenwechsel" beim Bürgergeld: Das Land stehe mit dem Rücken zur Wand, "weil der Sozialstaat nicht mehr finanzierbar geworden ist", sagte er der "Neuen Osnabrücker Zeitung".
Linke warnt vor "Herbst der sozialen Grausamkeiten"
Linken-Fraktionschefin Heidi Reichinnek warnte vor einem "Herbst der sozialen Grausamkeiten". Aktuell sei zu erleben, "wie Arbeitsrechte und Sozialstaat in einer massiven Kampagne von Think-Tanks, Arbeitgeberverbänden und sogenannten Expertinnen und Experten angegriffen werden", unterstrich Reichinnek im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AFP. Die Union bilde "die Speerspitze der Angriffe". Reichinnek forderte eine Reaktivierung der Vermögenssteuer.
Im Video: Sozialstaat abschaffen!? Possoch klärt!
Mir Informationen der AFP
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!