Fertigung von EB 580 vollelektrischen Antriebsbatterien für Mercedes-Benz CLA in Kamenz, Sachsen.
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Bildrechte: picture alliance / imageBROKER | Sylvio Dittrich
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Wirtschaft in der Krise? So könnte der Wandel aussehen

Wirtschaft in der Krise? So könnte der Wandel aussehen

Die Industrie schrumpft, Jobs im Autobau brechen weg – doch gleichzeitig entstehen Hunderttausende neue Stellen. Experten zeigen: Deutschland steckt nicht im Niedergang, sondern mitten im größten Umbau seit Jahrzehnten. Was jetzt wirklich zählt.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

"Krank", "bettlägerig", "nahe am Exitus" – seit Monaten überbieten sich Ökonomen und Kommentatoren mit düsteren Diagnosen zur deutschen Wirtschaft. Die Industrie schwächelt, die Autohersteller streichen Jobs und ständig ist von "Deindustrialisierung" die Rede. So will Audi tausende Stellen abbauen. Und auch der Zulieferer Schaeffler streicht die Belegschaft zusammen. Die Verunsicherung ist groß: Was bedeutet das für Gehälter, Steuereinnahmen, Renten? Aber: das Bild ist verzerrt. Deutschland und seine Wirtschaft sind noch lange nicht am Ende.

Industrie schrumpft – doch das stimmt so pauschal nicht

Die Industrieproduktion sinkt seit vier Jahren, im vergangenen Jahr um fast fünf Prozent. Klingt dramatisch – aber wer nur auf diese Zahl schaut, blickt auf die Wirtschaft wie durch eine dunkel getönte Brille. Die Industrieproduktion zeigt nur, was in Deutschland produziert wurde. Ignoriert wird etwa, was BMW in Spartanburg oder BASF in China fertigen. Und: auch Vorprodukte bleiben unberücksichtigt.

Dabei leistet die deutsche Industrie immer mehr selbst, beispielsweise indem sie Software für hochkomplexe Fräsmaschinen entwickelt. Der Konjunkturchef des Münchner ifo Instituts Timo Wollmershäuser verweist deshalb auf die Wertschöpfung als wichtige Kennzahl, die das alles berücksichtigt. Diese Größe zeigt sich bislang in Deutschland stabil. Deshalb kann man nicht von einer echten Deindustrialisierung sprechen.

Wandel statt Krise: Wie sich unsere Wirtschaft neu erfindet - Wir sprechen ausführlich über die Chancen für Deutschland hier in der aktuellen Ausgabe unseres Wirtschafts-Podcasts Plusminus.

Jobverluste im Autobau – aber der Arbeitsmarkt kippt nicht

Zehntausende Stellen gehen in der Autoindustrie verloren, und für die Betroffenen ist das bitter. Doch der Arbeitsmarkt insgesamt bleibt erstaunlich stabil. Das Arbeitsmarktbarometer des IAB pendelt seit Jahren um die neutrale Marke von 100 Punkten – aktuell liegt es sogar etwas darüber [externer Link].

Die Verluste in der Industrie werden durch neue Jobs in Pflege, Bildung, Energieversorgung, Verkehr oder Telekommunikation ausgeglichen. Deutschland erlebt also keine Massenarbeitslosigkeit, sondern einen tiefgreifenden Umbruch: einen Strukturwandel, der viele Bereiche gleichzeitig erfasst.

Die große Wende: Warum Deutschland jetzt sogar profitieren könnte

Genau in diesem Wandel steckt laut IAB-Arbeitsmarktforscher Enzo Weber eine riesige Chance: Deutschland sei eigentlich eines der Länder, das für die großen Transformationen am besten aufgestellt sei – wenn es den Übergang schafft. Zukunftsfelder gibt es genug: Windkraft, Wasserstoff, E-Mobilität, Batterien, Recycling, neue Werkstoffe, Robotik, KI. Allein der Umbau des Energiesystems erfordert bis 2030 über eine halbe Million zusätzliche Fachkräfte [externer Link].

Und in der Pflege dürfte moderne Robotik eine zentrale Rolle spielen – ein Feld, in dem deutsche Forschungseinrichtungen wie das MIRMI in München Munich Institute of Robotics and Machine Intelligence (MIRMI) - MIRMI-AIM international führend sind.

Bremsklötze: Demografie, fehlendes Kapital – und Mut

Die größte Herausforderung ist der demografische Schock: Bis 2037 scheiden bis zu sechs Millionen mehr Erwerbstätige aus dem Arbeitsmarkt aus, als neue nachrücken, wie IAB-Forscher Enzo Weber erklärt. Ohne Produktivitätsgewinne etwa durch KI und Automatisierung droht ein massiver Wohlstandsverlust. Gleichzeitig fehlt jungen Unternehmen das nötige Kapital, um groß zu werden. Der Princeton-Ökonom Markus Brunnermeier schlägt daher ein radikales Modell vor: Teile einer neuen, zusätzlichen privaten Altersvorsorge sollen in staatlich organisierte Fonds fließen, die wiederum in Start-ups investieren. So ließen sich das Rentenproblem und die Finanzierung neuer Industrien zugleich entschärfen – es wäre eine Art "Zukunfts-Rente".

Lehre aus dem Kohlebergbau: Festhalten verhindert Zukunft

Deutschland hat bereits einmal erfahren, wie gefährlich es ist, an alten Industrien zu lange festzuhalten – Stichwort Kohlepfennig. Jahrzehntelang wurden Milliarden in einen Sektor gepumpt, der dennoch verschwand: der Steinkohlebergbau in Nordrheinwestfalen. Bergwerksbesitzer weigerten sich ihre Grundstücke zu verkaufen und anderen Unternehmer zur Verfügung zu stellen – weil sie vom Staat noch Geld bekamen.

Der aktuelle Wandel bietet die Chance, genau diesen Fehler nicht zu wiederholen: Nicht das Alte rettet uns, sondern das Neue.

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