Im zweiten Anlauf hat die Kanzlerwahl von Friedrich Merz (CDU) nach stundenlanger Anspannung doch noch geklappt – entsprechend erleichtert sind die Reaktionen aus Union und SPD. "Da muss man noch mal richtig durchschnaufen, aber: Ende gut, alles gut", betonte CSU-Chef Markus Söder in München. "Jetzt kann's endlich losgehen!" Das Scheitern von Merz im ersten Wahlgang aufzuarbeiten und die Abweichler zu suchen, bringe gar nichts.
Am Ende habe es eine stabile Mehrheit gegeben, das Verantwortungsgefühl habe überwogen, betonte der bayerische Ministerpräsident. Die Schwierigkeit liege nicht im heutigen Tag, sondern in den Herausforderungen in Deutschland. "Deswegen ist der heutige Tag vielleicht ein kleiner Schönheitsfehler, aber der ist dann letztlich egal. Ab morgen ist schon wieder alles anders."
Merz: "Dankbarkeit und Respekt vor der Aufgabe"
Merz war am Vormittag im ersten Wahlgang im Bundestag gescheitert. Statt der nötigen 316 Stimmen erhielt er nur 310. Ein bisher einmaliger Vorgang bei einer Kanzlerwahl. Söder trat daraufhin am Mittag mit ernster Mine vor die Presse, beklagte einen Schaden für Deutschland und die Demokratie – und warnte vor "unabsehbaren" Folgen.
Im zweiten Wahlgang am Nachmittag kam Merz auf 325 der 618 abgegebenen Stimmen und wurde damit zum Bundeskanzler gewählt. Merz schrieb auf X, er nehme die Wahl mit "Dankbarkeit und Respekt vor der Aufgabe" an. Er mache sich mit Mut und Zuversicht an die Arbeit. "Unser Land kann mehr!"
CSU-Vizechefin Dorothee Bär betonte im Sender Phoenix, es sei besser "ernsthaft" zu starten und danach gute Arbeit zu machen als umgekehrt. Sie freue sich, dass letztlich "alles so gut funktioniert" habe. Ein Schaden sei aus ihrer Sicht nicht entstanden.
Klingbeil: "Das war nicht gut"
Der SPD-Vorsitzende und neue Vize-Kanzler Lars Klingbeil will jetzt nach vorn blicken, statt zu spekulieren, woher die Nein-Stimmen für Merz kamen. Am Nachmittag sei die Lage ernst gewesen, aber alle hätten erkannt, wie groß die Verantwortung sei, sagte er im ZDF. "Es hat im ersten Wahlgang nicht gereicht, das war nicht gut", räumte Klingbeil ein. "Aber entscheidend ist: Wir haben einen neuen Bundeskanzler, wir haben eine neue Bundesregierung und wir haben jetzt wahnsinnig viele Aufgaben vor uns."
Die bayerische SPD-Landesvorsitzende Ronja Endres bezeichnete es zwar ebenfalls als "gut", dass sich die demokratischen Kräfte auf einen zweiten Wahlgang geeinigt und die Abweichler sich besonnen hätten. Allerdings zeigte sich Endres auf BR-Anfrage durchaus auch kritisch und sprach von einem "verkorksten Start". Jetzt gelte es, schnell ins Regieren zu kommen und die Probleme im Land anpacken. Es gehe um Vertrauen zwischen den neuen Partnern, aber besonders um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger.
Grüne: "Es wird Nachwehen geben"
Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann betonte mit Blick auf die Notwendigkeit von zwei Wahlgängen, es sei eine "historische Situation". Für die Union, SPD und damit für Merz und SPD-Chef Lars Klingbeil sei das eine "hohe Bürde", sagte sie. Denn das Signal des Tages sei, dass es keine "ganz überzeugende Mehrheit für das Regierungsprogramm" von Schwarz-Rot gebe. "Das verheißt nichts Gutes."
Für den Grünen-Vorsitzenden Felix Banaszak deutet der heutige Tag darauf hin, dass das Regieren in der neuen Koalition nicht leicht wird. Er selbst komme aus einer Streitkoalition, sagte Banaszak Bayern 2 mit Blick auf die Ampel. "Und wir haben alle gemeinsam festgestellt, dass dieser Streitmodus, dieses gegenseitige Misstrauen nicht nur die einzelnen Parteien in schwierige Lagen gebracht hat, sondern auch das Vertrauen in demokratische Prozesse in der demokratischen Mitte unseres Landes im Gesamten." Wenn Schwarz-Rot jetzt schon so anfange, wie die Ampel aufgehört habe, sei es kein gutes Signal. "Es wird Nachwehen geben."
Linke sieht "Klatsche" – AfD: Merz sollte abtreten
Als "Klatsche" für Merz wertete die Fraktionschefin der Linken, Heidi Reichinnek, den Tag. Der CDU-Chef habe es nicht mal geschafft, seine eigene Koalition hinter sich zu vereinen. Das liege ihrer Meinung daran, dass seine Politik eine Politik der Spaltung sei, betonte Reichinnek im ARD-Interview. "Die Koalition hat versagt, bevor sie überhaupt angefangen hat."
AfD-Chefin Alice Weidel hatte schon nach dem ersten Wahlgang "Vernunft" verlangt: Merz solle sofort abtreten. "Es sollte der Weg geöffnet werden für Neuwahlen in unserem Land."
Steinmeier: "Mut bewahren"
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte nach der Ernennung der neuen Ministerinnen und Minister im Schloss Bellevue: "In der Demokratie verlaufen manche Tage mit etwas mehr Aufregung, als von der Öffentlichkeit erwartet." Die neuen Regierungsmitglieder sollten sich ihren Mut bewahren, "gerade dann, wenn es zwischendurch mal holpert und hakt, wenn Kompromisse schwerfallen, wenn der Wind Ihnen ins Gesicht weht".
Die neuen Ministerinnen und Minister verdienten Dank und Respekt, "aber vor allem auch unsere Fairness", sagte Steinmeier. "Es ist, und ich sage das so klar, im Interesse unseres Landes, dass sie Erfolg haben."
Macron setzt auf Zusammenarbeit
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) schrieb auf X, sie freue sich auf eine enge Zusammenarbeit mit Merz. Mit ihm ziehe ein "ausgewiesener Freund und Kenner Europas" ins Kanzleramt ein". Wir werden uns gemeinsam für ein starkes und wettbewerbsfähigeres Europa einsetzen." Nato-Generalsekretär Mark Rutte geht davon aus, dass die Führungsstärke von Merz entscheidend sein werde für die Stärkung der Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses.
Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gratulierte dem neuen Bundeskanzler: "Es liegt an uns, unsere europäische Agenda für Souveränität, Sicherheit und Wettbewerbsfähigkeit zu beschleunigen." Merz wird am Mittwoch zu einem Antrittsbesuch in Paris erwartet, anschließend geht es weiter nach Warschau.
Im Video: BR-Korrespondent Dake zur Kanzlerwahl
BR-Korrespondent Björn Dake zur Kanzlerwahl
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