Ein Lastwagen der Bundeswehr, beladen mit Paletten von Sandsäcken, fährt über die Straße, die mittlerweile gut einen halben Meter unter Wasser steht. Die Sandsäcke werden wenige Kilometer weiter dringend gebraucht, um den dortigen Damm zu verstärken und die Gemeinde vor den Fluten zu schützen. Am Himmel ziehen unterdessen dunkle Wolken auf, es könnte bald schon wieder regnen. Der Einsatz: Ein Kampf gegen die Zeit. Damit waren die Einsatzkräfte während des Hochwassers 2024 konfrontiert. Im Landkreis Pfaffenhofen könnte künftig ein neues Frühwarnsystem helfen, das auf Künstlicher Intelligenz (KI) basiert, und den Einsatzkräften vor allem mehr Zeit verschaffen.
KI erstellt Echtzeitmodell
Es sind unscheinbare, weiße, rund zehn Zentimeter große Kegel, die an einer Brücke befestigt werden. Im Inneren der Kegel allerdings ist große Technik verbaut: Im Minutentakt misst das Gerät den Pegel und übermittelt den Wert. Andere Sensoren messen die Niederschlagsmenge. All diese Daten fließen über Satellit in ein Echtzeitmodell. Dort verwertet die Künstliche Intelligenz auch Angaben zur Bodenfeuchtigkeit, zum Bodentyp – ob sandig, steinig oder kiesig. Hinterlegt ist auch, wie die Flächen genutzt werden, ob dort zum Beispiel Häuser sind, Felder, Wiesen oder Wald.
Aus der Fülle dieser stets aktualisierten Daten erstellt das System eine Prognose, beispielsweise über die Pegelstände in den nächsten Stunden. So kann etwa eine drohende Hochwassergefahr für bestimmte Ortsteile erkannt werden. Übersteigen die Daten bestimmte Werte, warnt das System die Einsatzkräfte per SMS oder App. Die Feuerwehren können sich dann rüsten und auch Bürger können so schneller gewarnt werden.
Sensoren von der Quelle bis zur Mündung
Durch die Daten entsteht ein Echtzeitmodell, ein sogenannter Digitaler Zwilling. Ein solcher ist im Landkreis Pfaffenhofen aktuell im Aufbau. Die ersten Sensoren sind bereits entlang der Paar und der Ilm in den Landkreisen Pfaffenhofen und Neuburg-Schrobenhausen angebracht. Und es soll noch viel mehr Messstellen geben. Ziel ist es: "Dieses System von der Quelle der Paar in Kaltenberg bis zur Mündung in die Donau in Vohburg zu installieren", so Pfaffenhofens Landrat Albert Gürtner (Freie Wähler).
Von den Daten sollen alle entlang der Paar profitieren – auch die anderen Landkreise, wie Neuburg-Schrobenhausen und Aichach-Friedberg. "Wir wollen die Solidarität unter allen Gemeinden entlang der Paar", betont Gürtner. Je mehr Daten, desto genauer die Prognose. Dieses Frühwarnsystem ist Teil eines Maßnahmenkatalogs, mit dem die Kommunen an der Paar landkreisübergreifend gemeinsam auf das katastrophale Hochwasser vom Juni 2024 reagieren.
Bis zu zwölf Stunden mehr Zeit für die Einsatzkräfte
Aufhalten lässt sich ein Hochwasser mit diesem System nicht. Aber es verschafft wertvolle Zeit im Kampf gegen das Wasser. Bis zu zwölf Stunden Vorsprung können die Einsatzkräfte dadurch gewinnen. Im Juni 2024 hätte es den Kräften durchaus helfen können, meint Kreisbrandrat Christian Nitschke, der den Katastrophenfall geleitet hat: "Das hätte sehr wohl was gebracht, weil wenn man dann wirklich sieht, wie hoch das Wasser final stehen wird, dann weiß man auch, wie man die Dämme dimensioniert. Du kannst das nicht aufhalten, aber du kannst Menschen und Tiere früher in Sicherheit bringen." Er sieht in dem 3D-Echtzeitmodell einen Gewinn für die Einsatzkräfte.
Frühwarnsystem in dieser Größe einzigartig
Ganz neu ist das System nicht. Ähnliche Projekte gibt es beispielsweise im hessischen Fulda oder im niederbayerischen Ergoldsbach im Landkreis Landshut. Neu ist jedoch die Dimension des Frühwarnsystems. Das Projekt rund um Pfaffenhofen soll deutlich größer werden als alle bisherigen – mit weit mehr Sensoren über ein größeres Gebiet. Aktuell sind zehn Pegelsensoren und zwei Stationen, an denen die Daten gesammelt werden, angebracht. Dazu hat man bereits die digitale Infrastruktur aufgebaut, die die Modelle berechnen. Das hat den Kreis Pfaffenhofen 100.000 Euro gekostet.
Das Projekt soll in den nächsten anderthalb Jahren ausgeweitet werden, mit deutlich mehr Sensoren und Messgeräten, auch an der Ilm und am Gerolsbach. Den digitalen Zwilling entlang der Paar will der Freistaat mit rund einer halben Million Euro fördern.
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