Akten von Wehrdienstverweigerern.
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Auch wenn der Wehrdienst aktuell ausgesetzt ist, kann man verweigern.
Bildrechte: picture alliance / ZB | Sascha Steinach
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Auch wenn der Wehrdienst aktuell ausgesetzt ist, kann man verweigern.

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Trotz freiwilligem Wehrdienst: Immer mehr wollen verweigern

Trotz freiwilligem Wehrdienst: Immer mehr wollen verweigern

Obwohl die Wehrpflicht ausgesetzt ist, kann man aktuell den Wehrdienst verweigern – vorsorglich, für den Fall, dass sich die Gesetzeslage ändert. Beratungsstellen helfen Verweigerern und besorgten Eltern beim Umgang mit dem Gewissenskonflikt.

Über dieses Thema berichtet: Bayern 2 Glauben Zweifeln Leben am .

Die Wehrpflicht ist seit 2011 ausgesetzt, nicht abgeschafft. Seitdem ist der Wehrdienst freiwillig, niemand muss aktuell zur Bundeswehr. Das Recht auf Verweigerung - verankert im Grundgesetz - gilt aber unabhängig davon, ob die Wehrpflicht gerade aktiv oder ausgesetzt ist. Man kann also auch jetzt verweigern – quasi vorsorglich für den Fall, dass sich die Gesetzeslage ändert.

Kirchliche Beratung hilft bei Gewissensentscheidung

Beim Umgang mit diesem schwierigen Gewissenskonflikt helfen kirchliche Beratungsstellen: eine davon ist "Kokon" in Nürnberg, eine Arbeitsstelle der Evangelischen Landeskirche. Pfarrerin Claudia Kuchenbauer arbeitet dort seit 20 Jahren. Obwohl die Wehrpflicht ausgesetzt ist, berät und informiert sie diejenigen, die verweigern wollen.

Seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine ist die Nachfrage nach Beratung gestiegen. "Was die Antragszahlen betrifft gab es im vergangenen Jahr noch einmal einen deutlichen Anstieg, sowohl bei mir als auch bundesweit", sagt Kuchenbauer.

Der Anstieg komme vor allem durch die Nachfrage junger Männer zustande, die von der Wehrpflicht nicht mehr betroffen waren und sich nun Sorgen machen. "Aber es gibt auch eine große Anzahl von Männern, die gedient haben zu Zeiten der Wehrpflicht, die jetzt sagen, ich stehe nicht mehr zur Verfügung für den Dienst an der Waffe – aus Gewissensgründen. Und es gibt eine dritte Gruppe: aktive Soldaten. Aber das sind nur sehr wenige", so die Pfarrerin.

Zahl der Verweigerungsanträge mehr als verdoppelt

Nach Angaben des Verteidigungsministeriums gab es 2022 exakt 1.123 Verweigerungsanträge, 2023 waren es 1.609 und 2024 allein bis Oktober 2.468. In zwei Jahren hat sich die Zahl also mehr als verdoppelt. Besonders in der Gruppe der ungedienten Männer ist die Zahl der Verweigerungsanträge gestiegen. Rund 80 Prozent davon werden in Deutschland anerkannt: Voraussetzung ist eine glaubhafte Gewissensentscheidung.

Zunehmend kommen auch Eltern in die Beratungsstelle, die sich Sorgen machen. Claudia Kuchenbauer informiert und empfiehlt ihnen, mit ihren Kindern das Gespräch zu suchen. Gerade Väter, die selbst Wehrdienst geleistet oder verweigert haben, könnten mit ihren Söhnen in einen wertvollen Dialog treten, meint die Pfarrerin. Trotzdem macht sie den Eltern auch klar: "Letztendlich muss natürlich das Kind selbst entscheiden dürfen."

Mutter: "Wieso gerade mein Sohn?"

Ein Vater in der Beratungsstelle, der selbst verweigert hat und anonym bleiben möchte, hat seine Kinder auf eine mögliche Wehrpflicht angesprochen. Dabei stellte er fest, dass sich bisher wenige ernsthaft mit der Frage auseinandergesetzt haben.

Eine Mutter kam in Kuchenbauers Beratung, weil sich ihr Sohn freiwillig bei der Bundeswehr meldete. "Ich habe mich gefragt: Wieso gerade mein Sohn? Ich habe meine Kinder doch nicht zum Kämpfen erzogen", sagt sie. Trotzdem hätten Gespräche mit verschiedenen Personen ihren Blick auf die Entscheidung ihres Sohnes verändert. "Zum Glück haben einige auch positiv reagiert und gesagt: So wie ich deinen Sohn kenne, hat er sich das gut überlegt und Leute wie deinen Sohn brauchen die bei der Bundeswehr. Der ist klug, der ist sehr reif für sein Alter." Ihr Sohn habe sie einmal gefragt, ob sie ihm verbieten würde, zur Bundeswehr zu gehen, wenn sie es könnte. "Darüber habe ich lange nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen: Nein, ich hätte es nicht verboten."

Pfarrerin rechnet mit mehr Beratungsbedarf

Schon jetzt bereitet sich die Pfarrerin darauf vor, dass es bald noch mehr Beratungsbedarf geben könnte. "Sobald es eine politische Entscheidung gibt, wie man mit der Wehrpflicht umgeht - und wir erwarten das im Herbst - wird auch die Information fließen müssen, dass unser Grundgesetz das Gewissen schützt", sagt Kuchenbauer.

Sie will keine Werbung für die Kriegsdienstverweigerung machen. Sie will, dass sich alle Menschen, nicht nur potenzielle Soldaten, mit der Frage auseinandersetzen, auch wenn es derzeit noch nicht zwingend nötig ist.

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