Am Ende dauert es fast 72 Stunden, bis die offizielle Mitteilung da ist. Erst am Montagmittag bestätigt ein Sprecher der Regierung von Oberbayern auf Anfrage, was viele seit Freitag ahnen: In der Gemeinde Reichling unweit des Ammersees hat die umstrittene Bohrung nach Erdgas begonnen. Ursprünglich hatten die Bohrarbeiten im ersten Quartal 2025 starten sollen, sich dann aber immer wieder verzögert. In den vergangenen Tagen war ein etwa 40 Meter hoher Bohrturm errichtet worden.
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Gas-Probebohrung soll vier Wochen dauern
Es handelt sich zunächst um die Probebohrung, welche einen verfüllten Zugang zu der vermuteten Gasspeicherstätte offenlegen soll. Bereits in den 1980er Jahren war in Reichling nach Gas gesucht worden, damals wurde das Projekt aber wegen mangelnder Lukrativität wieder ad acta gelegt. Im Zuge der steigenden Energiepreise seit Ausbruch des Ukraine-Krieges setzte jedoch eine Neubewertung ein.
Sollte die Probebohrung erfolgreich verlaufen, wird die Gasförderung starten. "Für die Erkundungsbohrung sind vier Wochen eingeplant, im Anschluss erfolgt der vollständige Abbau der Bohranlage", hieß es von der verantwortlichen "Energieprojekt Lech Kinsau 1 GmbH".
Protest von Bevölkerung und Umweltschützern
Am 26. Juni 2024, hatte das Bergamt Südbayern die Probebohrung genehmigt. Seitens der Bevölkerung und von Umweltschützern entwickelte sich massiver Protest.
Die Anwohner fürchten etwa um ihre Trinkwasserversorgung, da die Quelle des Ortes nicht weit entfernt liegt. Die Region sorgt sich zudem wegen möglicher negativer Auswirkungen auf Immobilienpreise und den Tourismus. Das Unternehmen hatte seinerseits immer betont, es bestehe keine Gefahr für die Umwelt und die Förderung als klimafreundliche "Brückenenergie" dargestellt.
Greenpeace sieht Verstoß gegen Völkerrecht
Aus Sicht von Greenpeace verstößt die bayerische Landesregierung mit der Bohrgenehmigung gegen Völkerrecht – das schlussfolgert die Umweltorganisation aus einem Gutachten, das der Internationale Gerichtshofs Ende Juli veröffentlicht hat.
Das oberste UN-Gericht stuft darin den Klimawandel als "existenzielle Bedrohung" für die Menschen und die Menschenrechte ein. Staaten seien daher völkerrechtlich verpflichtet, die Erderwärmung zu bekämpfen, heißt es im ersten Klima-Gutachten des Internationalen Gerichtshofs. Deshalb müssten klimarelevante Entscheidungen neu bewertet werden, fordert Greenpeace. "Auch Minister Aiwanger ist verpflichtet, entsprechend zu handeln: Er darf weder fossile Konzessionen verlängern, noch Gasbohrungen ermöglichen", heißt es in der Pressemitteilung von Greenpeace.
Aiwanger verwies auf bestehenden Rechtsanspruch
Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW) hatte dagegen immer erklärt, Bayern habe keinen Spielraum bei den Genehmigungen. Zwar verstehe er die Skepsis von Anwohnern, aber wenn alle gesetzlichen Vorgaben eingehalten seien, bestehe ein Rechtsanspruch, "den ich nicht verweigern kann", teilte er im Herbst 2024 mit und verwies auf das Bundesrecht. Dagegen kam ein von Greenpeace und dem Bund Naturschutz vorgelegten Rechtsgutachten zu einem gegenteiligen Ergebnis.
Laut Greenpeace hat die "Energieprojekt Lech Kinsau 1 GmbH" gerade eine Verlängerung der Bohrkonzession beim bayerischen Wirtschaftsministerium beantragt.
Anwohner beschweren sich über Krach
Greenpeace betont, dass die Gasbohrung gegen den Widerstand der betroffenen Gemeinden und des zuständigen Landkreises geschieht. Zudem hätten 50.000 Bürger in Bayern eine Petition unterschrieben, in der unter anderem ein Stopp der Bohrungen gefordert wird.
Wie sehr sich der Widerstand auch im direkten Umfeld der Bohrstelle bemerkbar macht, zeigen die Stimmen der Anwohner. Eine von ihnen ist Michaela Prothmann, die sich in der Bürgerinitiative Reichling Ludenhausen gegen die Bohrungen engagiert und nur rund 200 Meter entfernt wohnt. In der Nacht von Sonntag auf Montag seien die Geräusche besonders laut gewesen – "ein wahnsinniger Krach", wie sie sagt. Es habe sich angehört, als würde man direkt neben einer Baustelle wohnen.
Gas für 10.000 bis 15.000 Haushalte vermutet
Die "Energieprojekt Lech Kinsau 1 GmbH" plant eine Förderung von Erdgas über zehn bis 15 Jahre. In mehr als 3.000 Metern Tiefe wird eine Gasmenge von 400 bis 500 Millionen Kubikmetern vermutet, diese könnte den heimischen Gasbedarf von 10.000 bis 15.000 Haushalten decken.
Mit 96 Prozent wird der Gas-Bedarf in Deutschland fast vollständig aus Importen gedeckt, wie die Gas- und Wasserstoffwirtschaft e.V. auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mitteilte.
Mit Informationen von dpa
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