China rüstet nuklear auf, Russland stellt eine neue Superwaffe vor und die USA wollen unter Trump wieder Atomtests durchführen: Rutschen wir gerade in eine neue Atomwaffen-Ära? Sicherheits- und Atomwaffenexperte Karl-Heinz Kamp erkennt zwar kein neues Wettrüsten. Doch wer über Atomwaffen verfüge, könne Angriffen vorbeugen.
BR24: Herr Kamp, Wladimir Putin hat kürzlich eine neue nukleare Wasserwaffe vorgestellt. Müssen wir jetzt Angst haben?
Karl-Heinz Kamp: Russland kündigt seit vielen Jahren alle möglichen wilden Waffensysteme an, von denen vielleicht Prototypen existieren, die aber nie in großen Zahlen der Armee zulaufen. Es geht dabei um ein rhetorisches Signal an den Gegner; man nennt das Nuclear Signalling. Auch Militärübungen und Luftraumverletzungen fallen darunter. Im Falle Russlands sind solche Äußerungen auch für das heimische Publikum gedacht, um dort Stärke zu signalisieren. Für einen tatsächlichen nuklearen Rüstungswettlauf wäre in Russland gerade gar kein Geld da.
BR24: Atomwaffen werden häufig als Mittel der Abschreckung dargestellt ...
Kamp: Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine ist die Abschreckungsfrage wieder immens wichtig. Putins nukleare Drohung ist der Schirm, unter dem Russland überhaupt seinen Krieg führen kann. Hätte Russland keine Atomwaffen, hätten die USA oder die Nato vermutlich längst eingegriffen und Russland vernichtend geschlagen.
"Es gibt kein neues atomares Wettrüsten"
BR24: Also erleben wir zurzeit gar nicht den Beginn eines neuen nuklearen Wettrüstens?
Kamp: Ja, es gibt kein nukleares Wettrüsten. Vielmehr hat sich die Anzahl der Atomwaffen auf der Welt dramatisch reduziert. Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges hatten wir rund 70.000 Atomwaffen weltweit, heute haben die USA und Russland nur noch einen Bruchteil davon – je nach Zählweise 5.000 bis 6.000 Sprengköpfe. Und die haben immer noch genug Drohpotential; noch mehr Raketen brauchen die beiden Supermächte gar nicht. China baut zwar sein Atomwaffen-Potenzial aus und will in einigen Jahren bei 1.000 Atomsprengköpfen sein, aber selbst damit liegt es deutlich hinter den USA und Russland.
Im Video: Trump, Putin, Xi: Aufrüsten in den Atomkrieg? | Possoch klärt | BR24
Abschreckung: Viele oder wenige Waffen
BR24: Macht es für einen Kräfte-Vergleich überhaupt Sinn, die Anzahl der Sprengköpfe zu zählen?
Kamp: Da gibt es zwei Denkschulen. Militärs sagen nicht ohne Unrecht: Es braucht eine große Anzahl von Atomwaffen, an möglichst vielen Orten gelagert, um zu verhindern, dass ein einziger Angriff ein gesamtes Arsenal zerstört – der sogenannte Enthauptungsschlag. Der andere Ansatz besagt, dass auch eine geringe Anzahl ausreicht, um andere Länder abzuschrecken. Die Franzosen haben nur einen Bruchteil des russischen Atomarsenals; aber sie sagten im Kalten Krieg immer: Wir können den Bären nicht erlegen, aber wir können ihm eine Tatze abreißen – und das will der Bär nicht. Welcher Ansatz überwiegt, weiß man nicht. Aber ich möchte es auch nicht herausfinden.
BR24: Werden in Zukunft mehr Staaten Atomwaffen haben?
Kamp: Einerseits ist die Zahl der Atommächte nicht so stark gestiegen, wie man das in den 1960er-Jahren befürchtet hatte. John F. Kennedy ging damals davon aus, dass es sehr schnell 20 bis 30 Staaten mit Atomwaffen geben würde – wir sind heute bei neun. Allerdings gibt es mit dem Iran einen Staat, der relativ nah an der nuklearen Fähigkeit ist und das vermutlich weiterverfolgen wird, weil er nach der Intervention durch die USA genau diese Lektion bekommen hat: Wenn du keine Atomwaffen hast, kannst du bombardiert werden, während zum Beispiel Nordkorea machen kann, was es will. Und sollte der Iran Nuklearstaat werden, ist die Gefahr groß, dass andere Länder in der Region – etwa Saudi-Arabien – aus Furcht vor dem Iran ebenfalls Nuklearprogramme auflegen.
Karl-Heinz Kamp ist Analyst der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Er forscht zu Sicherheitspolitik und nuklearer Abschreckung.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!
