Immer wieder Plastikdeckel. Ob im Bierzelt oder auf dem Bauerntag, im Zeitungs- oder TV-Interview – die Deckel, die in der EU fest an der Flasche hängen, sind derzeit fixer Bestandteil der Auftritte von CSU-Chef Markus Söder. "Am Morgen bin ich jedes Mal echt verzweifelt über die EU", rief er kürzlich im Festzelt in Poing. Er trinke Cola light aus einer Plastikflasche. "Und jeden Morgen kämpfe ich mit dem Scheißdeckel." Entweder hänge ihm der Verschluss "im Auge". Oder er reiße ihn ab, und die Cola lande auf der Hose. Söder wedelt mit den Armen, hält sich ein Auge zu. Lachen im Publikum.
In seinem Ärger über die Plastikdeckel sieht der CSU-Chef Grundsätzliches: "Jeden Morgen frage ich mich: Ist das wirklich die wichtigste Antwort auf die chinesische und amerikanische Herausforderung, wenn wir glauben, in Europa alles mit allem regeln zu müssen?"
Europa-Kritik hat in der CSU Tradition
Auf Distanz zur EU zu gehen, ist in der CSU nichts Neues. "Eine gewisse Europa-kritische Haltung ist Teil der innerparteilichen Tradition", sagt Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter. 2014 versuchte es der damalige Parteichef Horst Seehofer im Europawahlkampf mit der Strategie "dafür und gleichzeitig dagegen": Er stellte dem CSU-Spitzenkandidaten und Europa-Abgeordneten Markus Ferber den EU-Kritiker Peter Gauweiler zur Seite. Der verspottete die EU-Kommission als "Flaschenmannschaft".
So donnernd wie bei Gauweiler ist Söders Kritik an der EU bei weitem nicht. Statt auf eine "Flaschenmannschaft" schießt er sich auf Flaschendeckel ein: der Plastikverschluss als Sinnbild für Bürokratie und Fehlentwicklungen in der EU.
Er sei ein "Fan von Europa", schickte der Ministerpräsident Mitte Juli auf dem Bauerntag in Flachslanden vorweg, beklagte aber: "Jedem Morgen geht mir Europa auf den Keks." Dem "Zeit-Magazin" sagte er, die EU gefährde mit den Deckeln täglich seine Gesundheit. Und im Sat.1-Interview wertete er die "lächerliche Plastikdeckel-Geschichte" als Beleg, dass in Europa "praktische Vernunft" fehle.
Merz: "Pipifax"
Vorgeschrieben sind die "Tethered Caps" seit Juli 2024: Deckel müssen in der EU seither fest mit der Einwegflasche verbunden sein. Die Richtlinie ist Teil umfassender Bemühungen, Plastikmüll in den Meeren zu verringern. Rechtspopulistische Parteien polemisierten dagegen schon im Europawahlkampf 2024: Der Chef der italienischen Lega, Matteo Salvini, schimpfte über "surreale Öko-Vorschriften aus Brüssel" und forderte "weniger Europa". Die österreichische FPÖ bemängelte, Trinken sei zum "absoluten Horror" geworden, die EU kümmere sich nur um "Schwachsinnigkeiten".
CDU und CSU führten damals einen klar pro-europäischen Wahlkampf. Erst Monate später entdeckte die Union die Plastikdeckel als Thema. Im Herbst stellte Jens Spahn (CDU) die europäische Flaschen-"Innovation" den fortschrittlichen US-Raketen von Elon Musk gegenüber. Im Februar betonte CDU-Chef Friedrich Merz, solchen "Pipifax" brauche kein Mensch.
Politologe: CSU sucht "neuen Gegner"
Söder erwähnte den Flaschendeckel in einem Nebensatz schon beim politischen Aschermittwoch 2025, kurz nach der Bundestagswahl. Da war die Rest-Ampel aber noch im Amt, stand als rhetorische Zielscheibe zur Verfügung. Das änderte sich mit dem Abtritt des "peinlichsten Kanzlers" (Söder über Olaf Scholz) und "schlechtesten Wirtschaftsministers" (Söder über Robert Habeck): Mit dem Start der schwarz-roten Bundesregierung im Mai fiel für die CSU das Schimpfen auf Ampel und Berlin als dominierendes Thema weg.
Zwar arbeitet sich Söder weiter an Bürgergeld und Gendersprache ab, kritisiert NGOs und bringt auch die Grünen noch unter. Aber er sucht offensichtlich nach neuen Zielscheiben. Hört man sich in der CSU um, wird bestätigt, dass sich die Parteispitze rhetorisch neu ausrichte, nämlich von Berlin auf Brüssel umschwenke.
Für den CSU-Kenner Oberreuter liegt nahe, "dass man an den zum Teil lächerlichen Gegenständen sieht, dass man einen neuen Gegner sucht". Beim Deckel könne die CSU demonstrieren, "dass man bei den Menschen ist", sagt der Politologe. "Wenn man ein Defizit bei wichtigen Themen hat und in Grundsatzfragen nichts zu diskutieren, kann man auf Nebenkriegsschauplätze ausweichen."
Beißwenger: "Finger in die Wunde legen"
Die CSU-Kritik an der EU geht über Deckel und Bürokratie hinaus. Im ZDF-Sommerinterview warnte Söder vor einer eigenen Steuer der EU ("undenkbar"), nach einer Kabinettsitzung wandte er sich gegen den Entwurf der EU-Kommission für den neuen Finanzrahmen ("nicht akzeptabel") sowie angebliche Pläne für ein vorgezogenes Verbrennerverbot für Mietwagen ("Schnapsidee"). Bayerns Europaminister Eric Beißwenger (CSU) geißelte die Finanzpläne der EU-Kommission, an deren Spitze die CDU-Politikerin Ursula von der Leyen steht, als "radikal".
Auf BR-Anfrage bestreitet Beißwenger, dass die CSU ihren Ton gegenüber der EU prinzipiell verschärfe. "Aber ich bin ja auch mit dem Ziel angetreten, wo nötig, den Finger in die Wunde zu legen." Aktuell müssten in der EU weitreichende Entscheidungen vorbereitet werden, die auch Bayern beträfen. Leider seien viele Ideen der EU-Kommission gut gemeint, aber schlichtweg nicht umsetzbar. "Deshalb müssen wir gerade jetzt unsere Stimme erheben."
Die Ampel ist weg, es bleibt die EU. Die CSU balanciert ihre Rhetorik zwischen pro-europäischem Bekenntnis und EU-Kritik neu aus.
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