Stehtische mit dezentem Blumenschmuck. Das Bundespolizeiorchester Hannover spielt. Die Ehrengäste sitzen auf Klappstühlen im holzvertäfelten Konferenzzentrum des Bundesinnenministeriums. Es geht betont sachlich zu, als das Ministerium Ende Oktober zum Festakt lädt. Es ist eine vorgezogene Feier, denn aufgenommen hat der Verfassungsschutz seine Arbeit erst heute vor 75 Jahren.
Beim Festakt verspricht Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU), den Verfassungsschutz "zukunftsfest" machen zu wollen. In rechtlicher und technischer Sicht. Der Inlandsgeheimdienst soll Schritt halten können mit den Partnerdiensten in Europa und vor allem mit den aktuellen Herausforderungen.
Der neue Verfassungsschutzpräsident Sinan Selen spricht von "multipolaren Bedrohungen" und zählt auf: Spionage, Sabotage, Cyberangriffe, internationaler Terrorismus und gewaltbereiter Extremismus. Die Arbeit geht den etwa 4.500 Mitarbeitern des Inlandsgeheimdienstes in Köln und Berlin so schnell nicht aus. Und auch nicht deren Kontrolleuren.
Politische Akzeptanz und Kritik
Im Bundestag ist das Parlamentarische Kontrollgremium dafür verantwortlich, die Arbeit des Verfassungsschutzes und der anderen Geheimdienste zu kontrollieren. Das soll verhindern, dass sie ein Eigenleben entwickeln.
Nach der NSU-Mordserie stand die Behörde massiv in der Kritik. Kurz nach dem Auffliegen der Neonazi-Terrorzelle hatte der Verfassungsschutz Akten zur rechten Szene vernichtet. Der damalige Behördenchef Heinz Fromm ging wegen der "Schredder-Affäre" vorzeitig in den Ruhestand.
Im Bundestag wurde deutliche Kritik am Verfassungsschutz laut – zum Beispiel von der damaligen Grünen-Chefin Claudia Roth. Heute ist das Verhältnis entspannter. Selbst zur Partei "Die Linke". Von den im Bundestag vertretenen Parteien stört sich vor allem die AfD an der Bundesbehörde. Die AfD bezweifelt regelmäßig, dass der Geheimdienst politisch neutral ist.
Zentrale Rolle bei Beobachtung der AfD
Der Verfassungsschutz hatte die Partei Anfang Mai vom Verdachtsfall hochgestuft zu einer "gesichert rechtsextremistischen Bestrebung". Die AfD geht vor Gericht dagegen vor. So lange liegt die neue Einstufung auf Eis. Das Bundesamt hat eine zentrale Rolle bei der Beobachtung der AfD. Laut Verfassungsschutzbericht werden etwa 20.000 Parteimitglieder dem rechtsextremen Spektrum zugeordnet.
Bis vor einigen Jahren bestimmten vor allem Rechtsextremismus und islamistischer Terrorismus die Arbeit der Verfassungsschützer. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine müssen sie sich wieder intensiver mit der Abwehr von Spionage, Sabotage und anderen Formen hybrider Bedrohungen beschäftigen.
Hinzu kommen antisemitische und israelfeindliche Straftaten. Nach dem Hamas-Überfall auf Israel und dem anschließenden Krieg in Gaza sieht der Verfassungsschutz eine zunehmende Hass- und Gewaltbereitschaft gegen Jüdinnen und Juden in Deutschland. Erst diese Woche hat Innenminister Dobrindt den islamistischen Verein "Muslim Interaktiv" verboten, weil er sich gegen den Rechtsstaat stelle und Israel das Existenzrecht abspreche.
Rekord-Budget für Verfassungsschutz
Mit 75 Jahren ist das Bundesamt für Verfassungsschutz also gefragt wie nie. Aber es ist auch ausgestattet wie nie – zumindest finanziell. Für das nächste Jahr sieht der Haushaltsentwurf der Bundesregierung 686 Millionen Euro vor. Das sind über 100 Millionen Euro mehr als in diesem Jahr. Der Festakt zum 75. Jubiläum lässt erahnen: Für verschwenderische Geburtstagspartys dürfte das Geld eher nicht vorgesehen sein.
Im Video: 75-jähriges Jubiläum des Bundesverfassungsschutzes
(Symbolbild) Der Verfassungsschutz soll robuster aufgestellt werden, um unter anderem besser gegen Spionage gewappnet zu sein.
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