Bundesinnenminister Alexander Dobrindt im Juli 2025 in Berlin.
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Bundesinnenminister Alexander Dobrindt wird von Juristen kritisiert. Sie sind damit unzufrieden, wie Dobrindt mit Gerichtsentscheidungen umgeht.
Bildrechte: picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka
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Bundesinnenminister Alexander Dobrindt wird von Juristen kritisiert. Sie sind damit unzufrieden, wie Dobrindt mit Gerichtsentscheidungen umgeht.

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Umgang mit Gerichtsentscheidungen: Juristen kritisieren Dobrindt

Umgang mit Gerichtsentscheidungen: Juristen kritisieren Dobrindt

Keine 100 Tage ist Bundesinnenminister Alexander Dobrindt im Amt. Aber die Kritik am CSU-Politiker ist laut. Juristen sind unzufrieden, wie Dobrindt mit Gerichtsentscheidungen umgeht. Wie steht der "Verfassungsminister" zum Rechtsstaat?

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Es sind Sätze wie diese, die bei einigen Juristen für Unmut sorgen: "Es gibt keinen Grund, aufgrund einer Gerichtsentscheidung, die heute hier erfolgt ist, in diesem Einzelfall unsere Praxis zu verändern." Das war die Reaktion von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) auf eine Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts Anfang Juni.

Das Gericht hatte entschieden, dass die Zurückweisungen von drei Asylbewerbern an der deutsch-polnischen Grenze dem EU-Recht widersprechen. Die Entscheidung wurde von den meisten Beobachtern als Rückschlag für die von der Union betriebene "Migrationswende" bewertet. Doch Dobrindt zeigte sich nach außen unbeeindruckt. Die Entscheidung sei ein Einzelfall – und in der Hauptsache sei noch gar nicht entschieden.

Entscheidung zur Asylpolitik: Einzelfall oder Grundsatzfrage?

Die Neue Richtervereinigung zeigt sich im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio über Dobrindts Worte irritiert. Carsten Löbbert ist Präsident am Landgericht Lübeck und spricht für den Zusammenschluss von Richtern und Staatsanwälten. Aus seiner Sicht will sich Dobrindt nicht mit den grundsätzlichen Rechtsfragen der Berliner Entscheidung auseinandersetzen. "Beunruhigend" nennt das Löbbert. Für ihn war der Fall keine Einzelfallentscheidung, sondern er habe eine grundsätzliche Bedeutung.

Diese Einschätzung teilt Gisela Seidler, Fachanwältin für Migrationsrecht in München. Als Mitglied des Deutschen Anwaltvereins berät sie die Bundesregierung bei neuen Gesetzesvorhaben. Sie argumentiert, das Berliner Gericht habe eine Kammerentscheidung getroffen – und die gebe es nur bei grundsätzlichen Fragen. Das Gericht habe auf sehr vielen Seiten ausgeführt, warum die von Dobrindt angeordneten Zurückweisungen an den Grenzen nicht mit dem Europarecht zu vereinbaren sind. Auch andere Gerichte beschäftigen sich aktuell damit.

Juristen kritisieren Symbolpolitik

Seidler war nicht überrascht, dass Dobrindt die Zurückweisungen an den Grenzen nach der Gerichtsentscheidung hat laufen lassen. Die Anwältin wirft dem Innenminister "Symbolpolitik" vor. Ihrer Ansicht nach stellt der CSU-Politiker mit seiner Reaktion in Frage, dass die Justiz die Regierung kontrolliert: "Ich habe früher schon mal gesagt, er hat den Grundsatz der Gewaltenteilung nicht verstanden. Inzwischen würde ich vielleicht sagen, er hat ihn vielleicht verstanden, aber es ist ihm nicht wichtig." Für einen Innenminister sei das "extrem gefährlich".

Kritik kommt auch von Grünen und Linken im Bundestag. Sie fordern die Bundesregierung auf, dass sie sich an die Aufnahmezusagen an gefährdete Afghanen hält. Hier hatte das Verwaltungsgericht Berlin Anfang Juli entschieden, dass die Bundesregierung an die schon erteilten Zusagen gebunden ist. Dobrindt hatte angekündigt, das Aufnahmeprogramm stoppen zu wollen. Die Bundesregierung hat gegen die Gerichtsentscheidung Beschwerde eingelegt.

Kruzifix-Urteil: Dobrindts umstrittene Reaktion

Ein anderes Beispiel: das Kruzifix-Urteil aus Bayern von Anfang Juli. Zwei konfessionslose Schülerinnen des staatlichen Hallertau-Gymnasiums im oberbayerischen Wolnzach hatten erfolgreich dagegen geklagt, dass ihre Schule ein anderthalb Meter hohes Kruzifix im Eingangsbereich nicht abhängen wollte. Dem Gericht zufolge verletzt das Kruzifix die Glaubensfreiheit der Schülerinnen.

In einem "Welt"-Interview sagt Dobrindt, er habe das Urteil nicht gelesen. Er empfehle aber, das Kreuz einfach umzuhängen: "Und dann soll sich ein Gericht auch wieder neu damit befassen."

Gewaltenteilung im Rechtsstaat: Die Rolle der Justiz

Richter Karsten Löbert stößt sich an dieser Reaktion: "Das ist schon schwierig, wenn ein Innenminister, der ja auch in anderen Worten immer als Verfassungsminister bezeichnet wird, eine dezidierte Entscheidung eines Gerichtes derart fast schon polemisch kommentiert."

In einem Rechtsstaat kontrollierten sich die verschiedenen Staatsgewalten gegenseitig. Aufgabe der Justiz sei es, die Entscheidungen von Verwaltung und Regierung zu überprüfen und deren Macht zu begrenzen.

Auch die Münchner Anwältin Giesela Seidler pocht auf Gewaltenteilung: "Wir können auch nicht machen, was wir wollen. Und auch der Innenminister kann nicht einfach sagen, ich akzeptiere das Gesetz nicht." Die nächsten Entscheidungen von Innenminister Dobrindt werden die Juristen sicher ganz genau beobachten.

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